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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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müssen. Unsicher nahm er einen weiteren Schluck aus seinem Glas. Dann lächelte er. Für Rebekka mochte es gequält aussehen, aber die widerstreitenden Gefühle in seiner Brust ließen kein besseres Lächeln zu. Endlich nickte er, wie zum Einverständnis einer unausgesprochenen Feststellung, und sagte: »Dann werden wir uns in nächster Zeit wohl des Öfteren sehen.«
     
     
    Einige Wochen lang fühlte sich David wie ein Stück Treibholz auf mächtigen Stromschnellen. Er wurde hin und her geworfen und konnte nicht das Geringste dagegen tun. Die schäumende Gischt seiner Gefühle war natürlich von Rebekka ausgelöst worden. Das Wiedersehen mit ihr hatte in ihm so viele unvorhersehbare Dinge ausgelöst, dass seine Magisterarbeit darüber fast auf Grund ging wie die Titanic. Nur unter Aufbietung aller Disziplin (hier machte sich seine japanisch beeinflusste Erziehung bezahlt) gelang es ihm schließlich, den Magistergrad in beiden Hauptfächern zu erwerben.
    Bis dahin sahen sich er und Rebekka schmerzlich wenig, also ungefähr nur einmal am Tag. Er arbeitete wie ein Besessener – weniger hätte seine Gedanken sofort zu ihr abschweifen lassen –, währenddessen sie den Greenboroughs bei der Bändigung ihrer Kinder und beim Erwerb französischen Sprachgutes assistierte.
    Am Tag der Abschlussfeier, als der Doppelmagister David Newton seine Urkunden in Empfang nahm, war nicht nur Rebekka anwesend. Sogar die Greenboroughs gaben sich die Ehre, weil längst offenkundig war, dass dieser hoffnungsvolle junge Studienabgänger mit ihrem französischen Mädchen liiert war.
    Ohne das Vermächtnis seines Vaters hätte nun für David eine unbeschwerte Zeit beginnen können. Er hatte alles, was die meisten Menschen für wichtig hielten: Gesundheit, Geld, eine gute Ausbildung, eine Erfolg verheißende Anstellung und ein bildschönes Mädchen.
    Apropos Anstellung: Sir Rothermere war seinem Wort treu geblieben. Obwohl er nach dem Tod des Bruders die Times aus der Hand gegeben hatte, sorgte er doch dafür, dass David dort als Reporter anfangen konnte. Damit wurde für ihn ein Traum wahr. Wann bekam schon mal ein frisch gebackener Magister die Chance bei dieser grundenglischen Zeitungsinstitution anzufangen! Bis Oktober sollte er formell noch als Volontär arbeiten, aber anschließend war ihm die Festanstellung so gut wie sicher.
    Mit diesen Aussichten genoss David einfach für eine Weile das unbeschreibliche Gefühl der Freiheit tun und lassen zu können, was ihm beliebte. Faktisch gesehen steckte er längst in einer neuen Fessel, aber die war so leicht, dass er sie praktisch gar nicht spürte. Der Grund hierfür lag in besagtem Mädchen, das ihm dieses Band angelegt hatte.
    Was daraus folgte, war ein atemberaubender Sommer. Rebekka erwies sich als richtiger Wildfang. Sie schleifte David auf alle möglichen Veranstaltungen. Er hatte noch nie so viel Kunst in so kurzer Zeit an sich vorüberziehen sehen wie in diesem Jahr. Oftmals erwischte ihn Rebekka dabei, wie er sie anstatt ein Gemälde oder eine Plastik anstarrte. Sie sei schöner als jedes Werk, das je ein Künstler schaffen könne, sagte er dann zu seiner Entschuldigung. Aber sie ließ das nicht gelten. Meist setzte sie seinem Schmachten mit einem fröhlichen Gelächter ein Ende und zerrte ihn anschließend zum nächsten Meisterwerk. Rebekka wollte ihm einfach alles zeigen. Schließlich war das junge zwanzigste Jahrhundert nicht nur vom Krieg gezeichnet.
    In der Malerei hatte schon mit dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert der Impressionismus von sich reden gemacht. Bilder von Vincent van Gogh, Paul Cezanne oder Auguste Renoir ließen Rebekka geradezu dahinschmelzen – an Claude Monet konnte selbst David Gefallen finden. Als er Rebekkas Interpretation von Debussys Arabesque Nr. 1 auf dem Flügel der Greenboroughs hörte, war er sogar regelrecht ergriffen – wobei nicht ganz klar ist, was mehr dazu beitrug, der sinnliche, eng geknüpfte Klangteppich des französischen Komponisten oder die anmutige Pianistin.
    Über andere Produkte der zeitgenössischen Kunst geriet das Paar in heftige Diskussionen, die vor allem Rebekka Gelegenheit gaben ihr ganzes Temperament zu entfalten. Wenn David den kantigen Körperformen des Kubismus nur ein angewidertes Schütteln abgewinnen konnte, dann setzte sie sich umso vehementer für Braque, Picasso oder Juan Gris ein. Und wenn sich seine traditionell geprägten Erkenntnismittel beim Betrachten eines surrealistischen Bildes von Max Ernst oder

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