Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
lockeren Linie, die in ein Wäldchen mündete.
Der nächtliche Park von Blair Castle bot einen absolut friedlichen Anblick. Von Gefahr keine Spur. David wusste, dass einige von Johns Söldnern auf dem Areal Wache hielten, mehr eine Ehrenbezeugung für das Brautpaar als eine ernst gemeinte Schutzvorkehrung. Der Herzogin war zu vorgerückter Stunde herausgerutscht, dass Hirohito seinerzeit nicht weniger als fünfzig Highlander als private Leibwache zur Verfügung gestanden hätten. An diesem Abend – für David und Rebekka – seien es nur zwölf. Trotzdem ein nettes Geschenk für ein Brautpaar, dachte David. Er reckte sich wie ein gerade aufgewachter Kater und verspürte schon wieder Sehnsucht nach seinem Kätzchen. Es war einfach ein herrliches Gefühl, ein Ehemann zu sein. Schon wollte er sich umwenden, um den Rückweg zum Liebesnest anzutreten, als er plötzlich erstarrte.
Aus den Augenwinkeln hatte er eine Bewegung gesehen. Unten bei dem Wäldchen. Doch jetzt, wo er bewusst die Bäume und Büsche absuchte, sah er nur deren unbewegliche Schatten im Mondlicht. Die Erscheinung war zu vage gewesen, um sie eindeutig zu identifizieren. Eine der Wachen vielleicht? Soweit David wusste, patrouillierten sie nur zu zweit. Vielleicht musste ja einer der Hochländer nur kurz sein Röckchen lüpfen, weil ihn die Blase drückte. Auch diese Erklärung konnte David nicht wirklich zufriedenstellen. Er wusste nicht genau warum, aber er hatte das Gefühl…
Da! Diesmal sah er die Gestalt ganz deutlich. Selbst nur ein Schemen, hatte sie sich aus dem Schatten eines Baumes nahe dem Exerzierplatz geschält und näherte sich nun dem Schloss. Ein eisiger Schauer lief über Davids Rücken, als er ihre fließenden Bewegungen bemerkte. Er kannte die Gestalt im Park. Vor mehr als acht Jahren war er ihr zum ersten Mal begegnet. In London. An einem kalten verregneten Wintermorgen in der Westminster Abbey.
Für David gab es keinen Zweifel. Die hoch aufragende Statur, der weite Umhang, der markante breitkrempige Hut – alles stimmte. Aber wie konnte das sein? Warum hatte Negromanus ihn ausgerechnet hier aufgespürt? Nach so langer Zeit! Warum gerade heute?
Während sich David noch den Kopf zermarterte, bewegte sich der Schemen mit fließenden Bewegungen, scheinbar ohne große Eile, auf den Kiesweg zu, der hinter dem Ballsaal begann, um diesen herumführte und zuletzt der Rückfront des Schlosses folgte. Durch das Fenster war nicht zu hören, ob Negromanus’ Füße auf den losen Steinen des Weges irgendwelche Geräusche verursachten. Die ganze unheimliche Szene spielte sich völlig lautlos ab. Kein Zweifel, David musste sich der grauenhaften Erkenntnis stellen: Der Schemen wollte tatsächlich ins Schloss, zu ihm!
Mit einem Mal hatte David nur noch einen Gedanken: Rebekka! Nicht in seinen schlimmsten Alpträumen wäre er darauf gekommen, schon in seiner Hochzeitsnacht um ihr Leben kämpfen zu müssen. Irgendwann vielleicht, ja – aber so bald? Er fuhr herum, war mit wenigen Schritten bei der Tür zum Ankleidezimmer, öffnete sie so leise es ging und eilte in den Raum.
In einer Ecke standen ihre beiden Koffer und die Reisetasche. Letztere barg Davids Schwerter. Er kniete sich nieder und öffnete das lederne Gepäckstück. Ohne lange zu überlegen, wählte er das Langschwert, das katana. Als er die Klinge aus der Scheide riss, fauchte sie, als freue sie sich nach langen Jahren des Schlafes endlich wieder von ihrem Herrn geweckt worden zu sein. Schon war er wieder auf den Beinen. In der Schlafzimmertür traf er auf eine dunkle Gestalt und bekam einen Riesenschreck.
»Rebekka! Was tust du denn hier?«
Seine Frau war in ein langes Laken gehüllt, das sie wie eine antike Schönheit aussehen ließ. Er glaubte im Mondlicht ihre verständnislose Miene erkennen zu können, als sie knapp erwiderte: »Im Augenblick wohne ich hier. Ich bin von einem Geräusch aufgewacht und du warst nicht da.« Aber dann stutzte sie. »Wozu brauchst du denn das Schwert? Du bist ja ganz aufgeregt, David! Was ist mit dir?«
»Der Schemen!«, hauchte David gehetzt.
»Welcher…?« Ihr Atem stockte. »Etwa…!«
Rebekka kannte inzwischen so ziemlich jedes Detail von Davids bewegtem Leben. Daher ließ seine angespannte Haltung sie genau die richtigen Schlüsse ziehen. David sprang an ihr vorbei ins Schlafgemach, lief zum Nordfenster und spähte in den Park.
Trotz ihrer langen Toga brauchte Rebekka für dieselbe Strecke nur unwesentlich länger. Als sie David
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