Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
sofort ein paar Männer zu Yonais Haus senden, Murray-san«, versprach der Sekretär des kaiserlichen Geheimsiegelbewahrers.
Es vergingen Stunden bangen Wartens.
Bei nächstbester Gelegenheit erzählte David seiner Frau unter vier Augen, was in der Knochenhalle vorgefallen war.
»Verpasst?«, wiederholte Rebekka die Botschaft des Schattens.
»Ich habe völlig den Kopf verloren«, gestand David. »Mir war mit einem Mal klar, dass er nur sein Spiel mit mir treiben wollte. In Wirklichkeit ging es ihm darum, ungestört über dich herfallen zu können.«
»Aber das hat er doch gar nicht getan!«, widersprach Rebekka. »Bis jetzt haben Kidos Männer auch noch nichts Verdächtiges entdeckt, sonst hättest du es bestimmt schon erfahren.«
David sah sie verwirrt an. »Du hast Recht.«
»Außerdem, wieso sollte Negromanus mich töten, wenn er in der Knochenhalle doch dich, seinen größten Feind, hätte stellen können?«
»Was glaubst du, wie oft ich mir in den letzten Stunden diese Frage gestellt habe! Im Traum ist der Schemen einfach achtlos an mir vorübergegangen, als ob… Ach, ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat.«
»Vielleicht kann er dir gar nichts antun.«
Davids Augen wurden groß. »Wie meinst du das?«
Obwohl die Lage alles andere als entspannt war, musste Rebekka beim Anblick ihres dümmlich glotzenden Gemahls lächeln. »Na, bist du nun das seiki no ko oder bist du es nicht? Du hast dich immer gefragt, was dir deine sonderbaren Gaben im Kampf gegen den Kreis der Dämmerung nützen sollen, aber vielleicht hast du dabei deinen wichtigsten Vorteil ganz übersehen.«
»Du meinst…?«
Rebekka nickte mit Nachdruck. »Es wäre immerhin möglich, dass Negromanus dir gar nichts anhaben kann. Überleg doch einmal: Du hast ihm eine Hand abgetrennt. Und was macht er? Er flieht. Der Schemen hat deine Eltern umgebracht, deinen Großonkel, viele deiner Freunde; er ist um dich herumgeschlichen wie eine Katze um den heißen Brei… Aber er hat dich nie persönlich angegriffen.«
»Das stimmt«, flüsterte David. »Vielleicht hast du wirklich Recht. Wenn ich ihm tatsächlich ebenbürtig oder sogar überlegen bin, dann könnte ich meine anderen Gaben viel wirkungsvoller gegen ihn einsetzen.«
»Und mit Lord Belial mag es sich ähnlich verhalten. Ich habe selbst gelesen, was im schriftlichen Vermächtnis deines Vaters über die beiden steht: Getrennt sind sie kaum mehr als gewöhnliche Menschen. Nur wenn sie ihre Wesen wieder vereinten, könnten sie unbesiegbar sein. Seit Belial den Siegelring von seinem Finger gezogen hat, versuchen er und sein Schatten vergeblich diese Macht zu erlangen…«
»Weil mein Vater ihnen den Ring gestohlen hat«, murmelte David.
»Und du ihn nun am Hals trägst«, fügte Rebekka hinzu.
»Vielleicht ist es ja auch der Ring, der mir Negromanus vom Leibe hält. Ich weiß noch, wie bestürzt er mich ansah, als er ihn auf Blair Castle an meinem Hals entdeckte.«
David lächelte still in sich hinein. Es war eine verlockende Vorstellung, endlich eine Waffe gegen seine mächtigen Gegner in der Hand zu halten. Aber da wich auch schon der erregende Gedanke einer anderen bestürzenden Erkenntnis.
»Deshalb will er dich umbringen, Bekka! Jetzt wird mir seine Taktik klar. Nach dem Tod meiner Eltern wollte auch ich nicht mehr leben. Als Nick fiel, ging es mir ähnlich. Und jetzt du. Negromanus muss wissen, dass mir deine Rettung damals neuen Mut eingeflößt hat. Du bist für mich der wichtigste Mensch im Leben. Wenn er dir etwas antäte…« Davids Stimme erstarb.
Rebekka küsste ihn zärtlich auf den Mund, bevor sie mit sanfter Stimme sagte: »Wir haben uns einmal geschworen, unsere Liebe würde selbst der Tod nicht bezwingen. Was immer auch geschieht, bleib deiner Berufung treu. Sollte der Kreis der Dämmerung mir jemals etwas antun, dann darfst du nicht aufgeben, hörst du, David? Das bist du nicht nur deiner Bestimmung schuldig, sondern auch mir. Vergiss das bitte nie, hast du verstanden?«
David schluckte einen dicken Kloß hinunter. Er zwang sich zu einem Lächeln, nahm Rebekkas Gesicht in beide Hände und erwiderte ihren Kuss. Dann nickte er und versprach mit fester Stimme: »Ich lasse mich nicht unterkriegen. Und außerdem wird dir Negromanus nichts tun. Beim nächsten Mal schneide ich ihm nämlich ein paar lebenswichtige Körperteile ab.«
Zwischen zehn und elf Uhr nachts kehrten David und Rebekka ins Haus der Yonais zurück. Kidos Geheimdienstleute hatten das
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