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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Blick auf den Hinterausgang, dann schlich er sich in die Knochenhalle.
    Die Zeremonie erreichte gerade ihren Höhepunkt – im wahrsten Sinne des Wortes. Die beiden Helfer des Priesters hatten das Tablett mit der Urne hoch über ihre Köpfe gehoben. Alle Trauergäste konnten den silbernen Behälter mit Yoshis Asche sehen. Gleich würde dieser in einer der Nischen verschwinden, die hier zu hunderten die Wände perforierten. Mit einem Mal geschah das Unfassbare: Einer der Urnenträger stolperte.
    Der Behälter rutschte zur Seite, kippte über den Rand der Platte und stürzte zu Boden. Dutzende von entsetzten Augenpaaren verfolgten den merkwürdig trägen Fall der Urne. Sie schlug kopfüber auf. Mit lautem Scheppern sprang der Deckel zur Seite. Ein vielstimmiges Stöhnen hallte durch den Saal.
    Verzeih mir diesen Frevel, Yoshi. David öffnete wieder die Augen. Er hatte den Schritt eines der Träger verzögert, ebenso wie den Sturz der Urne, sich dann aber doch den Anblick seiner Tat ersparen wollen. Jetzt jedoch wurden seine schlimmsten Befürchtungen sogar noch übertroffen. Mehr als das Fehlen der Asche schockierte die Trauergemeinde ein aus der Urne geschleuderter Gegenstand: Auf dem steinernen Fußboden lag eine mattschwarze Hand.
    »Negromanus!«, hauchte David entsetzt. Erst in diesem Moment war ihm die eigentliche Bedeutung des Namens richtig bewusst geworden: »schwarze Hand«. Die Nachbildung einer auf den ersten Blick menschlich anmutenden Hand war allerdings nur etwa halb so groß, wie es ihr wahres Vorbild gewesen sein mochte. Zwischen den Fingern steckte ein graues Kärtchen. Es handelte sich um eine linke Hand – David erschauerte –, wie jene, die er Negromanus in Schottland abgeschlagen hatte. Weil der makabre Scherzartikel unmittelbar vor seinen Füßen liegen geblieben war, bückte er sich danach und hob ihn auf.
    Die künstliche Hand bestand aus einem schwarzen Material, das sich kalt und hart anfühlte, vielleicht Lavagestein. Mit Unbehagen registrierte David die ungewöhnliche Haltung der sechs schmalen Finger: Alle, auch der Daumen, waren so stark gestreckt, dass sie sich weit über den Handrücken zurückbogen. Davids Gedanken arbeite ten fieberhaft. Genauso wie das Rückgrat der vielen Menschen, die von der schwarzen Hand getötet wurden. Was hat das zu bedeuten?
    Er sah kurz zu den umstehenden Trauergästen auf. In den blassen Gesichtern lag ein erwartungsvoller Ausdruck, als könne er ihnen jeden Moment die Lösung dieses beklemmenden Mysteriums verkünden. Aber David senkte nur wieder den Blick und betrachtete erneut die zurückgebogenen Finger. Ob Negromanus mit dieser beschwörenden Geste seine Opfer tötete?
    Er drehte die Steinhand langsam herum, bis er die lateinischen Buchstaben auf dem Kärtchen entziffern konnte. Da stand nur ein einziges Wort: Verpasst!
    Ein Scheppern durchschnitt das gespannte Schweigen in der Knochenhalle. David hatte die Hand zu Boden geschmettert, wo sie in tausend Splitter zerborsten war.
    »Verdammt soll er sein!«, schrie er voller Zorn. Saionji, der ganz in Davids Nähe stand, riss entsetzt die Augen auf. Einige Gäste stießen sogar leise Schreie aus. »Nicht Yoshiharu«, rief David, als er schon zum Ausgang stürzte. »Sein Mörder hat uns alle reingelegt…«
    Während nun in der Knochenhalle eine lebhafte Diskussion darüber entbrannte, was all diese bizarren Geschehnisse wohl zu bedeuten hätten, fegte der europäische Trauergast wie kamikaze, der »göttliche Sturm«, durch den Tempelpark. Die andächtig gestimmten Besucher des Areals blickten ihm entgeistert nach.
    Die Erkenntnis war auf David mit der brutalen Heftigkeit eines Henkerbeils niedergefahren. Erst die hämische Botschaft des Schattens hatte ihm die Augen geöffnet. Verpasst!
    David schrie vor Verzweiflung und Zorn über die eigene Dummheit. Negromanus’ Anschlag galt gar nicht ihm. Er wollte Rebekka haben.

 
    Verwirrspiel
     
     
     
    Noch nie hatte David im Stadtgebiet Tokyos eine so weite Strecke in so kurzer Zeit zurückgelegt. Vor seinem geistigen Auge sah er Rebekka bereits ermordet im Tatami-Zimmer liegen – der Blick gebrochen, der Rücken auf groteske Weise verkrümmt. Immer wieder schrie er verzweifelt auf Der Rikschaläufer vor ihm zuckte jedes Mal zusammen und mobilisierte weitere Reserven.
    Als David ein Taxi entdeckte, sprang er aus dem zweirädrigen Wagen, steckte dem verängstigen Mann an den Griffstangen einen Geldschein in die Tasche und warf sich vor die Droschke. Mit

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