Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
die Hände vor das Gesicht geschlagen und weinte.
David kehrte an das Bett der Freunde zurück. »Seid ihr verletzt?«
Takeo machte eine beruhigende Geste und schüttelte den Kopf. »Nichts Ernstes«, krächzte er. »Die Krämpfe hörten in dem Augenblick auf, als du in das Zimmer kamst, und langsam bekomme ich auch wieder Luft.«
Yachiyoko wischte sich die Tränen von den Wangen, sah David von unten bis oben an und zwang sich zu einem schüchternen Lächeln. »Mir geht es gut, David-kun.«
In diesem Moment spürte David eine sanfte Berührung auf der Schulter. Er drehte sich um und blickte in Rebekkas Gesicht. Sie lächelte ihn merkwürdigerweise verlegen an. Dann hob sie einen Stofffetzen vor seine Augen und sagte: »Entschuldige, David, dass ich deine Pyjamahose zerrissen habe.«
Treibjagd
Die Japaner hatten ein wesentlich unkomplizierteres Verhältnis zu ihrem Körper als die prüden Europäer oder gar die puritanischen Amerikaner. Davids Auftritt als nackter antiker Ringkämpfer sorgte bei den Yonais daher für erheblich weniger Aufsehen, als es eine ähnliche Szene im Schlafzimmer eines englischen Earls oder eines amerikanischen Senators hervorgerufen hätte.
»Wir werden heute noch abreisen«, sagte David, nachdem sich Gäste und Gastgeber angekleidet und im Esszimmer versammelt hatten. Das Personal war von Negromanus’ Angriff verschont geblieben und trug gerade ein leichtes Frühstück auf. Draußen ging soeben der Mond unter. Die große Dunkelheit vor dem Morgengrauen setzte ein.
»Aber wo willst du denn hin, David-kun?«
»Wir nehmen das nächstbeste Schiff in die Staaten. Bis zur Abreise werden wir irgendwo in einer schlichten Pension wohnen. Vielleicht sogar außerhalb der Stadt. Wir können euch beide unmöglich noch länger der Gefahr unserer Anwesenheit aussetzen. Ehrlich gesagt wäre es mir sogar lieber, wenn auch ihr für eine Weile von der Bildfläche verschwändet. Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn dieser Meuchler euch am Ende doch noch etwas antäte.«
»Mein Onkel hat ein Haus bei Hamatombetsu.«
»Wo?«
»Das liegt im Nordosten von Hokkaido.«
»Klingt gut. Das dürfte weit genug weg sein.«
»Ich fürchte nur…« Takeo zögerte.
David erriet seine Gedanken. »Kido würde dir nicht frei geben?«
»Es wäre respektlos gegenüber dem Tenno, mich für eine längere Zeit beurlauben zu lassen.«
»Das lass nur meine Sorge sein. Ich kümmere mich darum.«
»Wir stehen hoch in deiner Schuld, David-kun«, sagte Yachiyoko und verbeugte sich ehrfürchtig.
»Ich habe schließlich durch meine Anwesenheit hier euer Leben in Gefahr gebracht. Das ist das Mindeste, was ich für euch tun kann.«
Kurz nach Sonnenaufgang brachen die Murrays in Richtung Hafen auf. Um mögliche Verfolger abzuschütteln, nahm David nicht den direkten Weg, betrat mit Rebekka Gebäude, die sie durch die Hintertür wieder verließen, und wechselte mehrmals die Beförderungsmittel. Er fühlte sich keinesfalls sicher, jetzt, nachdem er Negromanus in die Flucht geschlagen hatte. Dafür klangen ihm die letzten Worte des Schemens noch zu deutlich in den Ohren. Du wirst noch meine wahre Macht zu spüren bekommen. Was hatte Negromanus damit nur gemeint?
David erkundigte sich in den Büros der Schifffahrtslinien nach der schnellstmöglichen Passage in die Vereinigten Staaten. Zu seiner großen Freude gelang es ihm tatsächlich, eine Erste-Klasse-Kabine auf der Misogi für den nächsten Montag zu bekommen.
Bis dahin waren es noch drei Tage, zweiundsiebzig Stunden, in denen Belials Bluthund an ihren Fersen klebte. Sie mussten unbedingt für das Wochenende von der Bildfläche verschwinden. Das Paar machte sich umgehend auf die Suche nach einer geeigneten Unterkunft. Einmal mehr hatte Rebekka die zündende Idee.
»Warum fahren wir nicht wieder über die Bucht und bleiben bis Montag früh in Sodegaura oder in Kisarazu?«
»Richtig, Schatz. Dort wird uns so schnell niemand aufspüren, selbst Negromanus nicht.«
Wenig später setzten sie mit der Fähre über die Bucht von Tokyo und suchten sich in Sodegaura eine kleine Pension. David musste etliche Passanten ansprechen, um schließlich ein unauffälliges Häuschen im Osten der Stadt zu finden, aber sein fließendes Japanisch, gepaart mit der ihm eigenen natürlichen Überzeugungskraft, leisteten ihm hierbei unschätzbare Dienste.
Bei den Wirtsleuten handelte es sich um ein älteres Ehepaar, das aus der Vermietung dreier Gästezimmer sein
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