Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Büchlein, die junge Handlanger ihnen unter die Füllfederhalter schoben – man kennt das Bild. David schlich sich frühzeitig aus dem Saal.
Er wollte die weihevolle Stimmung nutzen, um möglichst unbeachtet einen letzten Rundgang zu machen. Die Türen des großen Konferenzsaals standen offen. Daneben waren mehrere Wachen postiert, die ergriffen zu den Staatsmännern hinblickten. David wandte sich wie selbstverständlich nach links. Da gab es einen Gang, der schon am Vorabend sein Interesse geweckt hatte. Politiker und ihre Berater waren immer wieder darin verschwunden. Von dort mussten sie auch heute in den Konferenzsaal gelangt sein. Vielleicht ließen die Stäbe der vier Nationen in dem Raum, der sich gegenüber dem Saaleingang befand, ja schon die Korken knallen, um ihren Erfolg zu feiern.
Was sollte er sagen, wenn er in ein Zimmer platzte, das voll gestopft mit Diplomaten war? Egal, irgendetwas würde ihm schon einfallen.
Bis jetzt hatte ihn noch niemand bemerkt. Das Sicherheitspersonal hielt ihn wohl für irgendeinen Mitarbeiter der Verhandlungsteams – gar nicht so abwegig, wenn man bedachte, dass ohne Legitimation niemand in das Gebäude gelangte, normalerweise. Der Gang vor ihm war leer. David erreichte die anvisierte Tür. Dahinter waren Stimmen zu hören. Er atmete tief durch, griff nach der Klinke – als sich seine Sekundenprophetie meldete.
Unwillkürlich zog er die Hand zurück, um eine Berührung mit der Person zu vermeiden, die in diesem Moment die Tür öffnete. Aus dem Raum dahinter erscholl ein befreites Was-haben-wir-da-nur-wieder-auf-die-Beine-gestellt-Lachen. Die Hand des anderen steckte in einem schwarzen Anzugärmel und legte sich nun auf die äußere Klinke. Der Mann selbst war noch dem Raum zugewandt, sagte irgendetwas, während David fassungslos auf den Mittelfinger des Fremden starrte – an dem einer der zwölf Siegelringe Belials prangte!
David fühlte sich völlig überrumpelt. Gebannt vor Schreck blickte er auf die Hand. Der Jesuit! , schoss es ihm durch den Kopf, wohl wegen des schwarzen Anzugs. Aber dann wanderten seine Augen am militärisch geraden Rücken des Ringträgers empor, bis sie dessen Hinterkopf erreichten, die grau melierten, kurz anrasierten Haare…
»Papen!«
Der Name war David einfach herausgerutscht, er hatte es nicht verhindern können.
Noch einmal lachte jemand im Raum auf, dann wandte sich Franz von Papen um.
Manchmal gibt es Augenblicke, die losgelöst erscheinen vom normalen Fluss der Zeit. Wie Inseln halten sie der Strömung stand. Eine solche Erfahrung machte David jetzt. Seine blauen Augen trafen sich mit den graublauen Papens. Keiner der beiden Männer wandte den Blick ab, als fürchte jeder, mit dem Augenkontakt könne auch eine Verbindung abreißen, die unmittelbar in die Seele des anderen reichte.
»Kennen wir uns, junger Mann?«, brach Papen schließlich das Schweigen.
David war ganz außer Fassung. Was sollte er tun? Was hätte er denn mit dem Jesuiten angefangen? Mit ihm gekämpft? Ohne Waffe? In seinem Kopf herrschte eine gähnende Leere. Er hatte ja nicht einmal ernsthaft angenommen, hier doch noch dem Jesuiten zu begegnen, jetzt aber Belials Jünger von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, das brachte sein seelisches Gleichgewicht endgültig aus der Balance.
Papens Frage hatte auf David mehr wie eine Feststellung geklungen. Gab es im Blick des anderen so etwas wie Erkennen? Dreh jetzt nicht durch, Junge. Das Gebäude ist voller Gestapo-Leute. Du kannst hier jetzt keine Rangelei anfangen. Außerdem war Rebekka im Foyer. Er durfte sie nicht in Gefahr bringen. David schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Ich Sie schon, Herr Botschafter, aber als ehemaliger Reichskanzler dürften Sie wohl schon hunderte Reportergesichter wie das meine gesehen haben.«
Papen schien diese Antwort nicht zu befriedigen. »Wie lautet Ihr Name und für welches Blatt schreiben Sie?«
»Friedrich Vauser. Berliner Illustrierte Zeitung. Ich habe gestern schon den Duce und Mr Chamberlain interviewen dürfen und wollte mal sehen, ob ich hier nicht noch ein bekanntes Gesicht finde.«
»Das ist Ihnen ja nun gelungen«, sagte Papen. Mit einem Mal wurde er sehr freundlich.
»Ich bin offen gesagt erstaunt, den Botschafter des Reiches in Österreich hier zu treffen.«
»Das Leben ist voller Überraschungen, Herr Vauser.«
Es gefiel David nicht, wie Papen diesen Namen aussprach – so bedächtig, fast ein wenig spöttisch –, aber nun musste er wohl gute Miene
Weitere Kostenlose Bücher