Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
zum bösen Spiel machen. »Sie hätten nicht zufällig etwas Zeit für mich? Vielleicht irgendwo, wo wir ungestörter sind und niemandem die Feierstimmung verderben.«
»Wieso nicht? Hier drinnen«, Papen deutete mit dem Daumen über die Schulter in den Verhandlungsraum, »ist das leider nicht möglich, aber wenn Sie sich nur einen Moment gedulden und in der Halle auf mich warten, werde ich ein paar Minuten Zeit für Sie opfern.«
David zwang sich zu einem Lächeln. Papens Antwort kam schnell. Zu schnell. Und er hat dich doch erkannt! »Gut, dann gehe ich schon einmal vor. Sie sind wirklich sehr freundlich, Herr Botschafter.«
Es kostete David große Überwindung, nicht einfach loszurennen, Rebekka an der Hand zu schnappen und aus dem Gebäude zu flüchten. Papen war ihm gegenüber im Vorteil. Er verfügte über ein Heer von Polizisten und Geheimdienstlern, während David allein war. In einem ruhigen abgelegenen Zimmer hätte das Ganze schon anders ausgesehen. Jetzt wo es keine Zweifel mehr gab, wer Papen war, hätte David vielleicht sogar…
Direkt vor David entstand plötzlich ein enormes Gedränge. Er sah Rebekka bereits – einem kleinen Mädchen gleich kauerte sie in dem riesigen Sessel und blickte zu ihm herüber –, aber er konnte sie nicht erreichen, denn nun verlangte der »Führer« nach seinem Recht.
Hitler und die drei anderen Regierungschefs drängten dem Ausgang des Konferenzsaals entgegen. Vor sich her schoben sie wie ein Schlachtschiff im Manöver eine riesige Bugwelle. Fotografen und Reporter wichen im heftigen Blitzlichtgewitter zurück: Bitte kurz stehen bleiben, mein Führer. Wenn Sie Herrn Chamberlain bitte noch einmal die Hand schütteln könnten…
Der Pulk ergoss sich in die Halle. Zivile und uniformierte Sicherheitsleute mischten sich unter die Journalistenschar: Langsam gelang es den Leibwächtern, sich zwischen ihre Schützlinge und die handverlesenen Presseleute zu bugsieren.
Die Politiker strebten dem Ausgang zu, einer Wand von Glastüren, um sich dem jubelnden Volk zu zeigen. David drehte sich um und erschrak. Im Gang hinter ihm kamen vier nicht gerade schmächtige Herren in dunklem Zwirn zügig auf ihn zu. Am Ende des Flurs stand Papen und reckte den Hals. David hielt den Atem an. Um ihm mitzuteilen, dass der Herr Botschafter jetzt für das Interview zur Verfügung stehe, hätte ein Mann gereicht. Er stürzte sich in das Kielwasser der Staatsoberhäupter.
David setzte die Ellenbogen ein, rammte seine Kollegen zur Seite und sah sich dann noch einmal um. Die vier Musketiere fielen gerade in Laufschritt. Endlich befand sich David vor Rebekkas Monstersessel. Er griff nach ihrer Hand.
»Stell keine Fragen. Komm einfach!«
Das Gebäude durch den Vorderausgang verlassen zu wollen schien illusorisch. Bei den Glastüren wogte eine Menge euphorisch strahlender Gesichter unter wild geschwenkten Hakenkreuzfähnchen. Die begeisterten Menschen bildeten eine ungeheure Lärmkulisse, aus der nur einzelne Heilrufe deutlich herausstachen. David zerrte Rebekka zum gegenüberliegenden Ende des Foyers. Dort rannten sie in einen weiteren Gang.
Ein erneuter Blick zurück kurbelte Davids Puls an. Die Verfolger waren gut trainiert. Sie holten auf. Rebekka lief, so schnell sie konnte, aber ihre eleganten, hochhackigen Schuhe waren nicht für Sprints ausgelegt. Unvermittelt ging vor den beiden eine Tür auf, helles Licht drang in den Flur, gefolgt von einem massigen Gestapo-Mann – auch ohne Ledermantel für Davids geschultes Auge leicht zu erkennen.
Kurzerhand rammte er dem überraschten Geheimpolizisten die Faust aufs Brustbein. Ein weiterer Schlag aus dem Repertoire fernöstlicher Budo-Künste ließ den Bullen nach Luft schnappen und zusammensacken. David warf hinter sich und Rebekka die Tür zu und drehte den Schlüssel um. Lange würde diese Barriere dem Ansturm der Verfolger allerdings nicht standhalten können. Schnell sah er sich um.
»Da entlang!«
Er zeigte auf eine große Fensterwand und zog Rebekka dorthin. Sie befanden sich in einem der kleineren Konferenzzimmer mit einem langen Tisch und etwa einem Dutzend Stühlen. Wie ein Geschenk des Himmels erschien ihm jetzt die nur mit drei Schieberiegeln verschlossene Terrassentür.
»Zieh deine Schuhe aus«, sagte er zu Rebekka, während er sich an der Tür zu schaffen machte. Vom Flur her ertönten aufgeregte Stimmen und gleich darauf ein Krachen. Noch hielt die deutsche Eiche stand. Als der letzte Riegel zurückgeschoben war, riss David die
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