Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
zunehmen.
Obwohl David äußerlich ruhig und abgeklärt wirkte wie die meisten Profis im Pressegeschäft, sondierten seine Blicke an diesem 29. September doch jedes Gesicht, jede Geste. Er spazierte durch das Gebäude, so weit die Sicherheitskräfte ihn ließen, öffnete Türen, sofern diese unverschlossen waren.
Spät in der Nacht wurde die hungrige Meute der Journalisten unruhig. Ein Pressesprecher verlas eine kurze Erklärung: Die verhandelnden Parteien seien übereingekommen, das Sudetenland dem Deutschen Reich anzugliedern. Weiterhin sähen der »Führer« und der britische Premier die Weichen gestellt für eine alsbaldige gemeinsame Nichtangriffserklärung. Das Münchener Abkommen werde am kommenden Vormittag unterzeichnet werden, die Presse dabei ausreichend Gelegenheit zur Aufnahme von Fotos erhalten.
Wusch! Man konnte kaum so schnell schauen, wie die Reporter zu den Telefonen rannten. Jeder wollte die Nachricht so schnell wie möglich an seine Redaktion melden.
Sollte David wirklich für Time einen Artikel schreiben – er schwankte noch –, würde dies auch bis morgen Zeit haben. Zunächst konnte er sich also seiner Enttäuschung widmen. Weder das politische noch das persönliche Ziel dieses Tages war erreicht worden. Deprimiert machte er sich auf den Weg nach Pasing.
»Darf ich mitkommen, David?« Rebekka benutzte ihre Geheimwaffen, einen koketten Augenaufschlag gepaart mit einem Schmollmund, beidem konnte man unmöglich widerstehen.
Unwillig blickte David zu den beiden Hunden hin, die sich interessiert beschnüffelten. Pünktchen hatte bei Hubert wohl auch ihren Charme spielen lassen. Das Hausmädchen fragte, ob die Herrschaften noch irgendetwas wünschten. David verneinte. Sie saßen am Frühstückstisch. Es war kurz nach acht, Sepp Leiber brütete bereits über seinen Entwürfen, Lieselotte hatte einen Arzttermin.
David seufzte. »Also gut. Wenn sich die Potentaten den Kameras zeigen, wirst du dir allerdings irgendwo draußen die Zeit vertreiben müssen. Wir brauchen einen Treffpunkt.«
»Ich kann ja im Foyer auf dich warten. Später gehen wir dann mit Pünktchen in den Garten des Nymphenburger Schlosses eine Limonade trinken. Alle sagen, dass der Altweibersommer zusammen mit dem Föhn heute noch einmal richtiges Biergartenwetter bringen wird.«
»Pünktchen bleibt hier. Sie kann ja Hubert bezirzen.«
»Aber der Biergarten ist abgemacht?«
»Also gut. Wenn du dich noch zurechtmachen musst, wäre es jetzt höchste Zeit dafür. Wir müssen in einer Viertelstunde los.«
Rebekka war schneller als sonst, David hatte in der Zwischenzeit ein Taxi rufen lassen. Gemeinsam fuhren sie in die Innenstadt.
Vor dem Konferenzhotel herrschte ein großer Auflauf, Es hatte sich herumgesprochen, dass der »Führer« erscheinen würde. In natura bekam man ihn nicht alle Tage zu sehen. Es wimmelte von erwartungsvollen Gesichtern und Hakenkreuzfähnchen.
Mithilfe seines modifizierten Lauser-Ausweises und eines eruptiven Wortschwalls gelang es David, von dem entnervten Türsteher ins Innere des Gebäudes vorgelassen zu werden. Im Foyer suchte er für Rebekka einen gigantischen Sessel, in dem sie fast völlig versank.
»Du wartest hier, bis ich dich hole. Wenn ich bis elf nicht wieder hier bin, nimmst du dir ein Taxi und fährst allein zu den Leibers zurück.«
»Warum solltest du nicht wiederkommen?«
»Es könnte mir ja doch noch mein jesuitischer Schatten über den Weg laufen.«
Rebekka wurde schlagartig blass. »Pass bitte auf dich auf, Liebling!«
Er lächelte schief »Keine Sorge, wird schon gut gehen.«
Ohne Hast begab sich David in den großen Konferenzsaal, der für die feierliche Unterzeichnung des Münchener Abkommens hergerichtet worden war. Der große rechteckige Raum war fast auf seiner ganzen Breite bestuhlt. Am gegenüberliegenden Ende stand eine lange Tafel mit weißen Tischtüchern. David suchte sich einen Platz in der vorletzten Reihe.
Wenig später fand der Einmarsch der Gladiatoren statt: Hitler, Chamberlain, Daladier und der Stiernacken Mussolini, der eine komische runde Mütze mit einer Quaste trug. Von den vorderen Reihen, die NSDAP-Größen und hohen Diplomaten der verhandelnden Parteien vorbehalten waren, erhob sich Applaus. Notgedrungen schlossen sich die deutschen Pressevertreter an. Auch einige der ausländischen Journalisten klatschten.
Über die Abschlusszeremonie gibt es wenig zu sagen: Reife Herren mit würdevollen Gesichtern schrieben ihre Namen in dünne lederne
Weitere Kostenlose Bücher