Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
wirklich war.
Kurze Zeit später füllte Seans längliches Antlitz das Bullauge. David war sofort wieder bei der Tür und hämmerte wütend dagegen. »Verräter!«, schrie er erneut. »Was ist mit Rebekka?«
Obwohl die Tür von solider Bauart war, wich Sean auf der anderen Seite schnell bis an die gegenüberliegende Wand des Ganges zurück. Seine Hände signalisierten: Ruhig, alter Junge, nicht aufregen.
David fegte herum und ließ sich auf der Pritsche nieder. Die Stahltür öffnete sich einen Spalt und Seans Gesicht erschien darin.
»Bevor du mir an die Gurgel springst, David, lass mich zuerst erklären…«
»Was gibt es da zu erklären?«, fuhr David den Diplomaten an. »Du hast mich entführt und ich habe Rebekka im Stich gelassen. Im nächsten Hafen schon werde ich mich wieder nach Deutschland einschiffen.« Er überlegte ernsthaft, ob er mit seiner Gabe der Verzögerung ein Loch in die Schiffswand sprengen sollte, ließ den Gedanken aber schnell wieder fallen, er war kein besonders guter Schwimmer.
»David«, begann Sean noch einmal in beschwichtigendem Ton und betrat vorsichtig die Kabine. »Ich gebe ja zu, dir etwas in den Tee getan zu haben, und es tut mir auch Leid, aber du hast mir keine andere Wahl gelassen…«
»Was gibt dir das Recht, über mein Leben und das meiner Frau zu bestimmen, Sean?«, brüllte David.
»Das Recht des Freundes«, antwortete der hagere Attaché. »Du warst in Hamburg ja völlig außer dir. In diesem Zustand hättest du Rebekka überhaupt nicht helfen können, eher im Gegenteil. Das Angebot mit dem Anwalt war keine Finte, nur um dich zum Teetrinken zu animieren. Ich habe wirklich noch Dr. Sibenius beauftragt, Rebekka zu suchen und freizukaufen. Er meinte, du müsstest vielleicht einhunderttausend Reichsmark lockermachen, wenn die Sache vorrangig behandelt werden soll.«
»Du weißt, dass ich noch zwei, drei Immobilien besitze. Sobald ich in London bin, kann ich meinen Anwalt beauftragen, die erforderliche Summe zu besorgen«, sagte David. Er war zwar ruhiger geworden, aber sein Ton nicht gerade herzlicher.
Sean schien ihm das nicht übel zu nehmen. Vorsichtig legte er David die Hand auf die Schulter. »Ich habe dich nur deswegen einschließen lassen, weil ich mir nicht sicher war, was du beim Aufwachen anstellen würdest. Dieser Dampfer hier trägt den Namen Princess of Wales. Erste-Klasse-Kabinen wirst du auf dem Kahn allerdings vergeblich suchen. An Bord befinden sich der gesamte Stab des Konsulats sowie über einhundertzwanzig weitere britische Bürger. Du teilst dir eine Kabine mit einem Handelsreisenden aus Cardiff. Sabrina und ich hausen gleich nebenan.«
David nickte mit hängendem Kopf »Hat… Hat das Vereinigte Königreich Deutschland den Krieg erklärt?«
Sean nickte. »So gut wie. Hitler hat einen Truppenrückzug strikt abgelehnt. Um elf Uhr läuft unser Ultimatum ab. Das französische am Nachmittag um fünf. Der Krieg ist unausweichlich. Hitler hat sich ganz schön verrechnet, sollte er geglaubt haben, die beiden Länder würden weiterhin stillhalten, nur um ihn nicht zu reizen. Ab heute befinden wir uns wieder im Krieg, mein Freund.«
Traurig blickte David in Seans Gesicht. Obwohl er dessen Argumente nachvollziehen konnte, fiel es ihm doch schwer, sie zu akzeptieren. Irgendwie fühlte er sich noch immer verraten. Das Verhältnis zu Sean Griffith hatte mehr als nur einen Knacks erlitten. Im Augenblick fühlte es sich eher nach einem Bruch an. David schüttelte den Kopf.
»›Nie wieder Krieg!‹, haben sie alle vor zwanzig Jahren getönt, den Völkerbund sogar mit messianischen Erwartungen begrüßt…Und was ist jetzt? Nein, Sean, nicht wir befinden uns wieder im Krieg. Ich werde für kein Land dieser Erde je wieder eine Waffe ergreifen.«
David fühlte sich wie ein Stück Treibgut, von den Gezeiten der Geschichte an den Strand geworfen, der wohl eher aus Zufall London hieß. Jene Tiden, die anscheinend regelmäßig große Kriege heranschwemmten und sich dann für eine gewisse Zeit wieder zurückzogen, rissen rücksichtslos alles mit sich. Nur wer sich auf ein hohes felsiges Eiland geflüchtet hatte, konnte hoffen vielleicht nur von der Gischt des Krieges getroffen zu werden.
Den Kriegserklärungen vom 3. September schlossen sich drei Tage später Australien, Indien und Neuseeland an, am 19. dann auch Kanada und Südafrika. Alles entwickelte sich so, wie David es befürchtet hatte. Zwar hielt sich Franklin Delano Roosevelt noch vom
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