Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Bedenken. Möglicherweise hockte ein Spitzel Belials im britischen Konsulat. Obwohl sich in David alles dagegen sträubte und er sich von Seans Möglichkeiten, ihm jetzt noch zu helfen, auch wenig versprach, griff er nach dem einzigen Strohhalm, der ihm verblieben war.
Eine halbe Stunde später stand er an der Pforte des britischen Generalkonsulats im Harvestehuder Weg. Dem Wachhabenden sagte er nur zwei Worte: »Code Stone henge.«
In den Augen des Soldaten von der Royal Army flackerte kurz Erstaunen auf – es kam nicht gerade oft vor, dass sich ein Agent mit diesem »Schlüssel« unter den Schutz und die Souveränität des Vereinigten Königreiches flüchtete. Denn nach dem diplomatischen Kodex waren die ausländischen Gesandtschaften für das gastgebende Land fremdes Territorium.
Kurz darauf betrat David das Büro von Sean Griffith. Sein alter Freund war außer sich vor Freude. Er habe schon befürchtet, nie wieder etwas von David zu hören. Sean wollte seinem Besucher gerade freundschaftlich auf die Schulter klopfen, da bemerkte er erst dessen desolaten Zustand: die hängenden Arme, das unrasierte Gesicht, den zerknitterten Mantel…
»Was ist passiert, David? Wie… wie geht es Rebekka?«
Nachdem Sean seinen schwer angeschlagenen Freund in einen gepolsterten Lehnstuhl bugsiert hatte, begann David zu erzählen. In knappen Sätzen fasste er die Ereignisse zusammen, vom Hindenburg-Debakel über den Münchener Anschlag bis zur vergangenen Nacht. Er musste sich sehr konzentrieren, weil in seinem Kopf alles durcheinander ging. Auch Belials Bluthund, den Jesuiten, erwähnte er, wenn er auch auf Scarellis abscheuliches Ende nicht näher einging.
Sean schüttelte dann lange einfach nur den Kopf. Seine Betroffenheit war echt.
»Du ahnst nicht, wie mich das erschüttert, David. Ich weiß gar nicht, wie ich diese Tragödie Sabrina beibringen soll. Rebekka war ein so wunderbarer Mensch…«
»War?«, rief David empört. »Du sprichst ja von ihr, als wäre sie schon tot. Ich bin zu dir gekommen, weil ich deine Hilfe brauche, Sean. Wir müssen sie finden und aus Deutschland herausbringen!«
»Du stellst dir das so einfach vor. Es gibt keine Dienstvorschrift, nach der die SS uns mit Durchschlägen ihrer Verhaftungslisten versorgen muss.«
»Ich weiß selbst, dass eure Möglichkeiten sehr begrenzt sind. Sonst hätte ich mich schon in der vergangenen Nacht an dich gewandt. Aber immerhin sind Rebekka und ich britische Staatsbürger. Ihr müsst einfach…«
»David!«, fiel Sean dem verzweifelten Freund streng ins Wort. Das schmale Gesicht des Diplomaten hatte sich zu einer steinernen Maske verhärtet. »Hast du eigentlich eine Ahnung, was für ein Sturm da gerade am Horizont aufzieht?«
»Du meinst wegen dieses angeblichen Überfalls der Polen auf den Sender Gleiwitz?«
»Angeblich? Weißt du etwa schon wieder mehr als wir?«
David schüttelte unwillig den Kopf Ihm stand wirklich nicht der Sinn nach Politik. »Ich kann eins und eins zusammenzählen, Sean. Auch die Polen sind keine Selbstmörder. Sie hätten nie eine solche Dummheit begangen und Hitler damit den Vorwand für einen Krieg geliefert. Aber es geht hier nicht um Deutschland, Polen oder sonst irgendein Land. Es geht um Rebekka! Meine Frau. Ich muss sie unbedingt finden…«
»Nun beruhige dich doch, David, Du bist ja ganz außer dir.« Sean lief zu seinem Sessel, stützte sich mit beiden Armen auf die Lehnen und blickte ihm tief in die Augen. Leise, aber eindringlich sagte er: »Es gibt etwas, das ich dir sagen muss, obwohl ich eigentlich nicht darüber reden dürfte, aber um unserer Freundschaft willen tue ich es trotzdem: Großbritannien wird dem Deutschen Reich morgen den Krieg erklären. Wir gehen davon aus, dass auch Frankreich sich anschließen wird. Ist dir klar, was das bedeutet, mein Freund?«
David schloss die Augen, Europa wird wieder zu einem Schlachthaus. Nein, die ganze Welt. Wenn das Vereinigte Königreich Deutschland den Krieg erklärte, dann hatte das auch direkte Auswirkungen auf das Commonwealth of Nations, zu dem auch Neuseeland, Australien, Indien und Kanada gehörten. Hitler hatte in den letzten Monaten fleißig Verbündete gesammelt. Mit Bitterkeit musste David an Hirohitos Nihon Koku, das »Land der aufgehenden Sonne«, denken. Ohne Frage würde sich auch Japan darum reißen, bei der Neuverteilung des Weltkuchens mit dabei zu sein…
»David?« Seans Stimme drang wie durch einen dichten Vorhang zu seinem nur noch träge
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