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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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auf seiner Klippe stehen, einen Mann und eine Frau.
    David blieb stehen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Das Paar war noch zu weit weg, um die Gesichter erkennen zu können, aber was David sah, war schon beunruhigend genug. Der Mann hatte ein schneeweißes Haupt und einen gestutzten Vollbart. Die Frau besaß rabenschwarzes Haar, das ihr unbändig wie ein Wasserfall über die Schultern stürzte. Die beiden schauten zu David herüber. Sie schienen ihm zuzulächeln. Und dann winkte die Frau in seine Richtung.
    »Rebekka!«, hauchte David. Der frische Wind zerrte an seiner Jacke und er konnte nur dieses Paar anstarren, das – ja, das ihn an seinen Traum erinnerte, mit Rebekka einmal dort auf der Klippe zu stehen. War das der Anfang des Wahnsinns? Würde er bald in einer Welt leben, die nur noch aus Halluzinationen bestand, und mit Menschen reden, die nicht mehr lebten?
    »Nein!«, schrie David und wandte sich ab, um das schmerzvolle Bild zu verscheuchen. Mit Tränen in den Augen lief er auf dem rauen Pfad zum Haus zurück.
    Dieser Traum – oder was immer es gewesen war – konnte nur eine Aufforderung sein. Er durfte nicht länger hier bleiben und warten, bis die Trauer um Rebekka seinen Verstand verzehrte. Solange ihr Schicksal ungeklärt war, durfte er nicht aufgeben. Vielleicht lebte sie ja doch noch…
    Von Dr. Lars Sibenius waren über das Außenamt in Whitehall bisher nur zwei Berichte eingegangen. Beide besagten ungefähr dasselbe: Von einer Roberta Dean fehle jede Spur. Auch die anderen Namen, die Rebekka in Deutschland benutzt hatte, waren weder in Konzentrationslagern noch Gefängnissen aufgetaucht. Natürlich konnte Sibenius, bei allem Ansehen, das er als munter sprudelnde Geldquelle bei den Nazis genoss, nicht garantieren, dass seine braunen »Geschäftspartner« ihm die Wahrheit sagten.
    Wahrheit! David glaubte nicht, dass Hitler und seine willfährigen Helfer sich besonders viel um die Wahrheit scherten, wenn selbst der neue Premier Winston Churchill neulich den Satz hatte fallen lassen: »Im Kriege ist die Wahrheit so kostbar, dass sie immer von einer Leibwache von Lügen umgeben sein sollte.« Wer konnte schon sagen, ob die Nazi-»Leibwachen« Sibenius überhaupt in die Nähe von Rebekka ließen?
    Nein, von dem deutschen Anwalt war keine richtige Hilfe zu erwarten. Jetzt, da Hitler mit seinen Bombardements dem englischen »Brudervolk« eine klare Absage erteilt hatte, wohl noch weniger als je zuvor. Diese Erkenntnis führte bei David zu dem Schluss, doch das Unmögliche zu versuchen. Ein Gewehr würde er natürlich nicht mehr in die Hand nehmen, aber wenn er Rebekkas Schicksal durch diesen Schritt klären, sie womöglich sogar retten konnte, wollte er noch einmal über seinen eigenen Schatten springen. Und mit dem Secret Intelligence Service zusammenarbeiten.
     
     
    Als David im Zug nach London saß, sah er vor seinem geistigen Auge bereits, wie Väterchen sich die Hände rieb. Von Sean wusste er, dass Lloyd Ayckbourn, sein ehemaliger Berliner Agentenführer, ebenfalls Deutschland verlassen hatte. Nun koordinierte er von London aus die Aktivitäten in seinem wohl bekannten Einsatzgebiet.
    Väterchen empfing seinen alten Informanten in einem dunklen holzgetäfelten Büro und schien sich aufrichtig zu freuen. Wie ein Großvater über den Besuch seines Enkels. »Als Sean mir erzählt hat, dass Sie zu uns zurückkommen, wollte ich es erst gar nicht glauben, David.«
    »Ich möchte mir auch vorbehalten, jederzeit wieder auszusteigen.«
    Väterchens buschige Augenbrauen zogen sich zusammen. »Dem Vaterland zu dienen ist eine Ehrenpflicht. Wir befinden uns im Krieg. Da sind Zeitverträge…«
    »Entschuldigen Sie, Sir«, unterbrach David den hochrangigen Geheimdienstler, bevor das Ganze zu einem Vortrag über Patriotismus ausarten konnte. »Sean Griffith hat Ihnen bestimmt berichtet, was mit meiner Frau passiert ist. Auch wenn das nun in Ihren Ohren ehrenrührig klingen mag: Mir geht es nicht um das Vereinigte Königreich.
    Ich will so schnell wie möglich wieder nach Deutschland zurück, um Rebekkas Schicksal zu klären…«
    So deutlich nun hätte sich David nicht ausdrücken sollen. Durch seine Antwort hatte er nämlich die bärbeißige Seite von Lloyd Ayckbourn herausgefordert. Barsch schnitt ihm Väterchen das Wort ab. »Was denken Sie sich eigentlich, David? Die britischen Geheimdienste sind keine Reiseunternehmen, über die man Besichtigungstouren buchen kann…«
    Das hatte David befürchtet.

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