Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
europäischen Kriegsschauplatz fern, aber das hatten die Vereinigten Staaten im letzten großen Krieg anfangs auch getan.
Hitlers Plan, den Lebensraum für das deutsche Volk nach Osten hin zu erweitern, schien aufzugehen. Bereits am 7. Oktober posaunte die nationalsozialistische Propaganda den Sieg über Polen in alle Welt hinaus. Das neue Zauberwort hieß »Blitzkrieg« – schnell und zerstörerisch wie ein Blitz werde die »unbesiegbare deutsche Wehrmacht« jeden Gegner niederzwingen. Es war wohl weniger die überlegene Militärstrategie Deutschlands als vielmehr das Ausbleiben der versprochenen Hilfe seitens Frankreichs und Großbritanniens, das dem sich mit Pferden und Säbeln verteidigenden Polen eine derart schnelle Niederlage bereitete.
Um sich das schwedische Eisenerz zu sichern, schickte Hitler seine Truppen daraufhin gleich nach Dänemark und von dort aus in den hohen Norden. Anfang Mai 1940 überrannte die Wehrmacht dann die neutralen Staaten im Westen: Holland, Belgien und Luxemburg. Wieder stand das deutsche Heer in Flandern. Die Nachricht weckte in David die Erinnerung an Nick, seinen alten Schulkameraden, der dort gefallen war. Noch immer trug David dessen Sixpencestück in der Tasche. Damals hatte er dem Sterbenden ein Versprechen geben müssen. »Finde einen Menschen, der für dich die Zukunft verkörpert«, hatte Nick verlangt. Die Erinnerung ließ David zittern. Rebekka war für ihn die Zukunft gewesen.
Die deutsche »Blitzkrieg«-Taktik wirkte sich auf die Verteidiger verheerend aus. Auch große Gebiete Frankreichs fielen jetzt an die Aggressoren. Am 12. Juni kapitulierten französisch-britische Einheiten an der Küste bei St. Valery, um nicht in den Ärmelkanal getrieben zu werden. »Rache für Versailles« hatte Hitler gefordert, die Jahre der »nationalen Schmach« sollten vergessen gemacht werden. Das unermüdliche Herunterleiern der Dolchstoß-Legende war nicht ohne Folgen geblieben: Die Deutschen jubelten ihrem »Führer« zu.
Großbritannien widerstand währenddessen eisern allen teutonischen Anbiederungsversuchen. Englisches Blut sei ja dem arisch-deutschen ziemlich verwandt, meinte Hitler, aber offenbar interessierte das in London niemanden.
David schon gar nicht. Er steckte in einem tiefen Loch namens Verzweiflung. Der Weg nach Deutschland, zu Rebekka, war ihm verwehrt. Natürlich, irgendwie hätte er sich schon bis dorthin durchschlagen können, aber nach langem Ringen mit sich selbst hatte er einsehen müssen, wie furchtbar richtig Seans Argumente waren. Ohne Hilfe würde er Rebekka nie finden und sie heil aus dem Land herausbekommen.
Damals, in Rom, als Rebekka ihr Unbehagen darüber geäußert hatte, nach Deutschland zu gehen, war er es gewesen, der sie überredete. Großspurig versprach er ihr, sie zu beschützen. Dasselbe hatte er auch einst seinem Vater gelobt. Du bist nicht mehr als ein Maulheld, David. Zweimal hatte er versagt. Dieser Gedanke machte ihn fast wahnsinnig.
Nach der Ankunft in London war es David noch bis Ende September gelungen, sich seelisch einigermaßen über Wasser zu halten. Er alarmierte die kleine, ihm noch verbliebene Schar von »Brüdern«, befürchtete er doch, dass es dem Feind irgendwann gelingen werde, sein Schattenarchiv zu entschlüsseln. So gut wie alles war verloren, auch Jasons Träne, in die er so große Hoffnungen gesetzt hatte. Was nützten ihm da noch die beiden Siegelringe, derjenige Belials und der andere vom Finger des Jesuiten Scarelli alias Rasputin?
In seiner Niedergeschlagenheit machte es ihm wenig aus, dass er eines seiner Anwesen verkaufen musste, ein prächtiges Landhaus in Kent. Er brauchte dringend Geld.
Jederzeit konnte Dr. Sibenius aus Deutschland die Auslösesumme für Rebekka anfordern. Fünfzigtausend Pfund legte David auf ein für diesen Zweck eingerichtetes Konto an, ein Vielfaches der Summe, die Sean in den Raum gestellt hatte.
Damit waren die vordringlichen Arbeiten erledigt. Und das Warten auf eine Nachricht aus Deutschland begann David immer mehr zu zermürben. Ein um das andere Mal musste ihm Sean versichern, dass er, David, nicht mehr tun könne, als abzuwarten, auf eine positive Botschaft zu hoffen und währenddessen doch versuchen solle, so gut wie möglich über die Zeit hinwegzukommen. Schließlich entschied er sich, London zu verlassen. Telegrafisch benachrichtigte er den Verwalter seines Gutes in Cornwall alles für einen alsbaldigen Besuch vorzubereiten. Anfang Oktober machte er seine Ankündigung
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