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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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und Stahl, Verbindungstunnel und Luftschutzräume, Wachstuben und Garagen… Irgendwo wurde immer gebaut. Das ganze Lager war wie ein riesiger Organismus, der ständig wuchs, oder wie ein Ameisenhaufen, in dem es vierundzwanzig Stunden am Tag krabbelte und wuselte. Hier wurde nicht nur gearbeitet, sondern auch gegessen und geschlafen. Nur die Privilegierten genossen den Luxus eines Zimmers draußen, in Bletchley oder in einem der anderen umliegenden Dörfer. David gehörte nicht dazu.
    Er arbeitete im Block B, wo man sich nicht nur mit den japanischen Codes herumschlug, sondern auch die der italienischen Luftwaffe und Marine zu knacken versuchte.
    Die ersten Wochen in Bletchley Park nutzte er zum Knüpfen neuer Kontakte. Das war nicht ganz unproblematisch. Das Camp wurde als »Großbritanniens bestgehütetes Geheimnis« bezeichnet. Unmittelbar außerhalb des Zauns befand sich ein großes Militärlager. In den nahen Wäldern ragten die Rohre von Flakgeschützen durch die Tarnnetze. Ein erfolgreiches Bombardement der Anlage durch die Deutschen wäre einer Katastrophe gleichgekommen. Dementsprechend streng fielen die Sicherheitsvorkehrungen aus.
    Wegen der allgemeinen Geheimhaltungspflicht war es den Mitarbeitern der einzelnen Gruppen sogar strengstens verboten, mit Angehörigen einer anderen Abteilung über deren Arbeit zu reden. David tat es trotzdem. Sehr behutsam, wie immer, wenn er seine besonderen Gaben einsetzte.
    Sein vorrangiges Interesse galt natürlich dem D-Block. Hier tüftelte man an Verfahren zum Knacken der deutschen Codes herum. Gerüchteweise gab es da so einige Schwierigkeiten, besonders was den Funkverkehr der deutschen Admiralität mit ihren U-Booten betraf. Weil David nicht annahm, dass man Rebekka unter Wasser gefangen hielt, galt seine Aufmerksamkeit den »festländischen« Nachrichten, die aus den von Deutschen kontrollierten Gebieten kamen.
    Der für das Abhören des gesamten feindlichen Funkverkehrs erforderliche Apparat war ein unersättlicher Moloch, der ständig nach »Frischfleisch« verlangte, wie Alan Stripp spöttelte. Im allgemeinen Bletchley-Jargon nannte man die Nachschubkämpen auch »Sklaven«: rekrutierten sie sich doch größtenteils aus Frauen des Womens Royal Naval Service, die einfachste Arbeiten zu verrichten hatten.
    Die Kontaktaufnahme zu den WRNS-Mädchen war nicht besonders schwer. Das Interesse einiger der Kandidatinnen ging auch deutlich über eine lockere Plauderei hinaus, wie David mehrmals feststellen musste. Für ihn allerdings gab es eine ganze Reihe von Gründen, sich von erotischen Abenteuern fern zu halten. Der stärkste war zweifellos Rebekka. Es würde für ihn nie eine andere Frau geben.
    Die zur »Sklavenarbeit« abgestellten WRNS-Frauen konnten zwar hervorragend tippen, aber nur die wenigsten hatten genügend Überblick, um David brauchbare Informationen liefern zu können – selbst wenn einige von ihnen das wirklich gerne getan hätten. Der Gedanke, dass eine Nachricht über Rebekkas Aufenthaltsort durch die Finger dieser zumeist sehr jungen Schreibkräfte gehen und anschließend als belanglos in einem Archiv landen konnte, war für David schier unerträglich. Deshalb fasste er Ende November einen Entschluss.
    Schon einige Tage lang hatte er den hageren Mann beobachtet, der im Camp – trotz aller Geheimhaltung und seiner augenfälligen Jugend – schon eine Legende war. Sein Name lautete Alan Mathison Turing. Angeblich handelte es sich bei ihm um einen begnadeten Mathematiker: Er bastelte an Maschinen herum, die Menschen vor dem Wahnsinn retten konnten. Der nämlich drohte jedem, der sich zehn oder mehr Stunden täglich mit dem Herumprobieren an völlig sinnlos erscheinenden Buchstabenkombinationen beschäftigte, in der Hoffnung, irgendwann die richtige Permutation zu finden, die aus der Chiffre einen Klartext machte.
    »Ist hier noch ein Platz frei?«, fragte David in einer entlegenen Ecke der Caféteria vor dem Tisch des Einzelgängers Turing. Ein spitzes Kinn reckte sich dem Störer entgegen, als wolle es ihn aufspießen.
    »Ich habe eigentlich zu tun.«
    »Soweit ich sehen kann, essen Sie nur.«
    »Das täuscht«, antwortete Turing mürrisch und tippte sich mit dem linken Zeigefinger an die Schläfe. »Ich arbeite hiermit.«
    David stellte sein Tablett auf dem Platz gegenüber von Turing und setzte sich. »Ach. Das klingt aber interessant. Womit beschäftigen Sie sich denn im Augenblick?«
    »Sie wollen wohl, dass man uns beide vor ein Kriegsgericht

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