Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
was ist an den deutschen Geheimschriften so besonders?«
»Die Krauts haben da ein paar hundsgemeine Kästen entwickelt, die uns das Leben schwer machen, zum Beispiel den Siemens Geheimschreiber T52, vor allem aber die Enigma.«
»Enigma. Das kommt doch aus dem Griechischen, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht. Bedeutet ›Rätsel‹ oder so etwas Ähnliches.«
»Das trifft den Kern der Sache ziemlich genau. Schon mal was von Rotormaschinen gehört?«
»Können die fliegen?«
»Nur, wenn Sie eine davon aus dem Fenster werfen. Nein, Rotormaschinen dienen der Verschlüsselung von Nachrichten. Die Dinger gibt es schon eine ganze Weile, aber Anfang der Zwanzigerjahre haben die Deutschen das Konstruktionsprinzip – das übrigens auch von den Amerikanern angewandt wird – auf raffinierte Weise abgewandelt. Die Enigma I, das Basismodell dieser neuen Gerätegeneration, bestand aus einem elektrischen Schaltkreis, der mit drei ›Walzen‹ oder ›Rotoren‹ kombiniert war.«
»Daher der Name ›Rotormaschine‹.«
»Genau. Jede dieser Walzen ist in sechsundzwanzig verschiedene Positionen drehbar – für jeden Buchstaben im Alphabet steht eine. Mit allen drei Walzen zusammen kann man also siebzehntausendfünfhundertsechsundsiebzig Ausgangskonfigurationen für eine Textverschlüsselung einstellen.«
»Hört, hört, der Mathematiker spricht. Bei einem längeren Text über siebzehneinhalbtausend Kombinationen durchzuprobieren dürfte ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen sein.«
»Das haben sich die Deutschen auch gedacht. Sie halten ihre Enigma für unbezwingbar.«
»Und Sie nicht, Alan?«
»Die teutonischen Supertüftler haben nicht damit gerechnet, dass ihnen jemand die Pläne für ihre Wundermaschine stehlen könnte.«
»Und genau das ist passiert, nehme ich an.«
Auf Turings Lippen zeichnete sich ein schadenfrohes Grinsen ab. Er nickte. »Die Polen haben das Kunststück fertig gebracht. Übrigens schon eine ganze Zeit, bevor Hitler in ihr Land einmarschiert ist. Sie haben kurzerhand die Ur-Enigma nachgebaut, was unseren Schlauköpfen hier, die ebenfalls an die Pläne gekommen waren, leider nicht gelang. Zum Glück arbeiten die Polen jetzt hier in Bletchley mit uns zusammen.«
»Und was hat das alles nun mit Bomben zu tun?«
»Zur Entschlüsselung der deutschen Enigma-Codes haben sich die Polen vernünftigerweise gedacht: Warum nicht die Enigma selbst die Enigma knacken lassen?«
»Das wird mir jetzt ein bisschen zu hoch, fürchte ich.«
»Um es einfach auszudrücken: Sie haben jeweils sechs nachgebaute Enigmas zusammengespannt und die verschiedenen Konstruktionsgruppen mit einem elektrischen Antrieb versehen. Die Codesuche funktioniert jetzt gewissermaßen vollautomatisch. Diese Höllenmaschinen ticken, als stecke eine Zeitbombe drin…«
David legte den Kopf in den Nacken. »Jetzt! Deshalb heißen sie Bomben.«
»Präzise. In knapp zwei Stunden können die Bomben tausende und abertausende von Kombinationen durchprobieren.«
»Genial.«
»War es auch. Aber dann entwickelten die Deutschen ihre Enigma weiter und sie tun es noch. Inzwischen gibt es Billionen von Kombinationen zur Verschlüsselung eines Textes. Ich will nicht behaupten, dass wir das Problem nicht in den Griff bekommen, auch die Bomben werden ständig verbessert, aber im Augenblick brauchen wir einfach zu lange, um eine Nachricht zu dechiffrieren. Die deutschen U-Boote versenken ein Versorgungsschiff nach dem anderen und wir können nicht reagieren, weil die Bomben vielleicht erst Wochen später die Befehle der deutschen Admiralität oder die Längen- und Breitengrade der Unterseeboote ausspucken. Einige Herren da oben sind schon ziemlich nervös und machen mächtig Druck.«
»Was man auch irgendwie verstehen kann«, sagte David nachdenklich. »Woher weiß eigentlich ein deutscher Kapitänleutnant, wie er seine Enigma richtig einzustellen hat?«
»Das ist leicht zu beantworten. Dafür gibt es Codebücher. In regelmäßigen Abständen oder auch auf Anordnung pickt sich der Kaleu einfach die nächste Enigma-Konfiguration heraus, und während unsere Bomben noch am alten Code knabbern, arbeiten der U-Boot-Kommandant und seine Befehlsstelle schon wieder mit einem neuen.«
David kraulte sich nachdenklich den kurzen Vollbart und seine Stimme klang seltsam gedehnt, als er schließlich fragte: »Wenn es nun gelänge, eines der Codebücher zu erbeuten…«
»Vergiss es«, fiel ihm Alan Turing, schon recht vertraulich, ins Wort. »An
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