Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
er sich wieder einigermaßen im Griff hatte. Dann sah er zu, wie der weiße Sarg zugeklappt und anschließend ins Grab gesenkt wurde.
In diesem Augenblick erinnerte sich David des leeren Sargs eines schottischen Jungen, den er an seinem Hoch zeitstag gesehen hatte. Wie hat er gleich noch geheißen? Jona than Jabbok…! Hätte er damals die Hochzeit verschieben sollen, wie es der Schmied empfohlen hatte? Gab es im Leben so etwas wie böse Omen?
David verscheuchte den Gedanken. Er hatte nie an diesen Hokuspokus geglaubt und er würde jetzt nicht damit anfangen. Rebekka hatte einmal zu ihm gesagt: Selbst wenn die Erde sich zwischen uns teilte, wenn der Abgrund des Todes uns trennte, wird unsere Liebe nie zerrissen werden. Das schwöre ich dir. Ja, er würde sie immer lieben.
Müde bückte sich David und hob einen Kiesel vom Weg auf. Diesen legte er auf Rebekkas Grab, wie es ihre Vorväter schon seit dem Zug des Volkes Israel durch die Wüste Sinai getan hatten. Für David war es eine letzte Geste des Abschiednehmens. Wieder rannen ihm Tränen über die Wangen. Langsam drehte er sich um und ging davon.
Vier Tage später saß David in einer Boeing 314 der Pan American Airlines: der erste Flug seines Lebens. Im letzten Jahr vor dem Krieg hatte die Pan Am mit diesen riesigen viermotorigen Flugbooten einen Liniendienst zwischen Marseille und New York eingerichtet. Inzwischen gab es modernere Maschinen, aber die wurden ausschließlich vom Militär benutzt. Also musste David sich mit einem brüllenden Seeungetüm begnügen.
Seine Abreise aus Großbritannien glich einer Flucht. Er wollte einen möglichst großen Abstand zwischen sich und jene Bestien bringen, die seine Frau ermordet hatten. Die Jagd nach dem Kreis der Dämmerung bedeutete ihm nichts mehr. Er machte sich nicht einmal die Mühe, unter einem falschen Namen zu reisen, sondern blieb bei dem, der auch auf Rebekkas Grabstein stand. Alles andere wäre ihm im Moment wie Verrat vorgekommen.
Der Flug nach New York City dauerte etwa zwanzig Stunden. Nach der Ankunft fuhr David vom Pier aus zuerst in die Time-Redaktion. Henry Luce hatte ihm einmal ein Versprechen gegeben, an das David ihn nun erinnern wollte.
Der Eigentümer und Herausgeber des Wochenmagazins gehörte längst zu den angesehensten Verlegern der Nachrichtenbranche. Luce besaß nicht nur eine sehr gute Spürnase für das, was bei den Lesern ankam, sondern außerdem auch das richtige Händchen für die erfolgreiche Umsetzung seiner Ideen. Schon in Briton Haddens Todesjahr hatte er das Wirtschaftsmagazin Fortune ins Leben gerufen und sieben Jahre später Life. Auch seine Nachrichtenserie The March of Time lief im Radio und in Filmtheatern mit großem Erfolg.
Für kurze Zeit fürchtete David, sein alter Förderer könne inzwischen vielleicht viel zu beschäftigt sein, um sich noch persönlich mit einem seiner Auslandsreporter abzugeben. Charlotte saß nicht mehr am Empfang. Sie habe sich ins Familienleben zurückgezogen, erklärte die freundliche Dame, die nun ihren Platz einnahm, eine schlanke Brünette Mitte zwanzig. Auf dem Tresen stand ein Schild mit dem Namen Sandra Greenwood.
Kurz nachdem Ms Greenwood die Sekretärin ihres Chefs von Davids Ankunft in Kenntnis gesetzt hatte, kam Henry Luce auch schon aus seinem Büro gestürzt. Davids Bedenken waren unbegründet gewesen.
»David, du hier?«, posaunte Henry laut hinaus.
Mit aller Kraft brachte David ein Lächeln zustande.
»Ich nehme an, als Time-Mitarbeiter bin ich jetzt bei dir unten durch, nachdem ich mich so lange nicht mehr gemeldet habe.«
Henry merkte schnell, dass mit David etwas nicht stimmte. Er legte ihm den Arm um die Schulter und schob ihn in sein Büro. Dort verfrachtete er ihn in einen von sechs Ledersesseln, die um einen länglichen Besprechungstisch herumstanden, und nachdem er Kaffee bestellt hatte, ließ er sich ebenfalls nieder.
»So, alter Junge, jetzt erzähl mal, was dir passiert ist. Du siehst aus, als sei ein Panzer über dich hinweggerollt. Warum hast du eigentlich Rebekka nicht mitgebracht?«
Davids Herz verkrampfte sich bei dieser Frage und er musste sich zwingen nicht die Fassung zu verlieren. Ausführlich berichtete er dann, was in den zurückliegenden Monaten geschehen war. Als er auf Rebekkas Tod zu sprechen kam, schüttelte Henry nur fassungslos den Kopf.
»Nein, das kann ich einfach nicht glauben, David. Und ich bin auch noch so taktlos und…«
»Ist schon gut, Henry. Du konntest es ja nicht
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