Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
wissen.«
»Ich habe Rebekka sehr gemocht. Sie war immer so natürlich. Keines dieser affektierten Weibsbilder, die sich wer weiß was auf ihre Emanzipation einbilden.« Henry war in mancherlei Hinsicht stockkonservativ, aber seine Direktheit hatte David immer schon gefallen.
»Könntest du dir vorstellen, mich hier für eine Weile zu beschäftigen, Henry?«
»Was für eine dämliche Frage! Habe ich nicht auch Friedhelm Lauser, deinen deutschen Freund, in unserem Büro in Los Angeles untergebracht? Übrigens, vielen Dank für diese ausgezeichnete Spürnase. Und was deine Bitte betrifft: Du weißt, dass in der Redaktion für dich immer ein Schreibtisch bereitsteht. Ich dachte, das hätte ich dir irgendwann schon einmal gesagt.«
»Seitdem ist viel Wasser ins Meer geflossen. Du bist ein berühmter und einflussreicher Mann…«
»Was hat das damit zu tun?«, unterbrach ihn Henry. »Meinst du etwa, ich vergesse meine alten Leute? Du bist eine Time-Legende, David, Ein Pionier der ersten Stunde, Und außerdem noch ein amtlich beglaubigter Held.«
David blinzelte verwirrt, »Wie bitte?«
»Na, hat dir noch niemand von dem Orden erzählt?«
»Welchen meinst du?«
»Hab ihn selbst nur einmal bestaunt. Ziemlich pompöses Ding, das jetzt hier irgendwo vor sich hin staubt, weil du dich so lange nicht hast blicken lassen. Muss wohl irgendwie untergegangen sein, weil Laird das Auslandsressort zu der Zeit gerade an Whittaker Chambers übergeben hat. Jedenfalls kam das Lametta direkt aus dem Vatikan. Trägt sogar das Siegel Seiner Heiligkeit.«
»Ganz schön hartnäckig, der alte Mann«, murmelte David mit einem Kopfschütteln. »Ich dachte, ich wäre dem Ganzen entgangen.«
Henry grinste, »Ich muss die Story unbedingt hören, wie du dir die päpstlichen Sporen verdient hast. Die beigefügte Urkunde ist übrigens auf den Namen Francois Cournot ausgestellt. Bei deinen vielen Pseudonymen wirst du nie eine Gedenktafel in der Ruhmeshalle des amerikanischen Journalismus bekommen – das Ding würde einfach viel zu sperrig ausfallen. Na ja, macht nichts, für mich bist und bleibst du einer der wichtigsten Autoren des Hauses, Ich kann es gar nicht abwarten, endlich wieder was von dir zu lesen.«
»Du bist sehr freundlich, Henry, Danke.«
»Ist schon in Ordnung, Komm erst mal wieder zu dir. Hast du schon ein Quartier?«
David schüttelte den Kopf.
»Dann wohnst du fürs Erste bei Clare und mir. Sandra soll für dich gleich eine passende Unterkunft suchen. Ach… Du kennst ja meine Frau noch gar nicht!«
»Ich wünschte, Rebekka und ich wären 1935 zu eurer Hochzeit gekommen. Dann würde ich jetzt vielleicht nicht vor diesem Scherbenhaufen stehen, der früher mein Leben war.«
David gönnte sich keine Auszeit wie im vergangenen Jahr, als er auf der Bank vor Stony House gesessen und aufs Meer hinausgestarrt hatte. Nun gab es keine Ungewissheit mehr, keine Hoffnung. Deshalb stürzte er sich wie ein Besessener in die Arbeit, um mit ihr die Leere seines Daseins zu überdecken.
Als seine Eltern von Negromanus ermordet worden waren, hatte er – von der überraschenden Offenbarung seiner besonderen Bestimmung überwältigt – jeden Lebensmut verloren. Nun wollte er sich nicht wieder in diesen Strudel aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ziehen lassen. Dennoch hatte er das Gefühl, irgendwann doch den Kampf zu verlieren und in dem verhängnisvollen Mahlstrom unterzugehen. Aber noch besaß er einen letzten Rest von Kraft, und bevor dieser nicht aufgebraucht war, wollte er sich auch nicht geschlagen geben.
Etwa zwei Wochen nach seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten entdeckte er durch Zufall in der New York Times eine Anzeige, die seine Aufmerksamkeit erregte. Da sollte in der West Street, gegenüber von Pier 40, ein Lager- und Bürohaus verkauft werden. Tief in David schlummerte noch immer der alte Plan, in dieser Stadt, die nicht wenige für den Nabel der Welt hielten, so etwas wie ein geheimes Hauptquartier einzurichten. Noch waren seine diesbezüglichen Überlegungen unausgereift, aber im Kampf gegen den Kreis der Dämmerung brauchte er eine schlagkräftige Mannschaft, so viel hatten ihn die zurückliegenden Jahre gelehrt. Vielleicht würde er eine Firma gründen, eine Agentur, die Nachrichten verkaufte – natürlich erst nach gründlicher Prüfung auf einschlägige Hinweise.
Für die Besichtigung des leer stehenden Komplexes brauchte David nur eine knappe halbe Stunde. Er entschloss sich dann spontan den
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