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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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nützlichen Dienst erwiesen zu haben.
    In Hochachtung,
    Ihr getreuer Freund
     
    Das Papier rutschte aus Davids kraftlosen Fingern und taumelte wie ein welkes Blatt zu Boden. Alan Turing hätte ihm sein Beileid ebenso gut in einer fremden Sprache aussprechen können, die Worte drangen gar nicht bis in sein Bewusstsein von Betäubt verließ David das Zimmer, durchquerte einen schmalen Gang und stieß die Tür nach draußen auf. Die tief stehende Frühlingssonne verlieh selbst dem Camp ein freundlicheres Aussehen, aber David erschien das alles nur wie blanker Hohn. Auf der Suche nach einem verschwiegenen Ort taumelte er hinaus auf den Weg, der durch die Baracken führte. Zwischen den Blöcken B und C hindurch wandte er sich nach Süden, bog vor den Tennisplätzen nach rechts ab und begab sich in einen noch unbebauten Teil des Camps.
    Am Ufer eines idyllischen Weihers brach er dann zusammen. Seine Beine gaben einfach nach, er sank auf die Knie und begann bitterlich zu weinen. Sein Gesicht war trotzig nach oben gewandt, als wolle er den Himmel für das anklagen, was man ihm zugefügt hatte. Ich kann Ihnen leider keine Hoffnung machen, Ihre Frau jemals lebend wieder zu sehen. Der Satz brannte sich in seine Seele ein. Immer tiefer.
    Irgendwann musste David wohl begonnen haben zu schreien. Er konnte sich später nicht mehr daran erinnern. Jedenfalls legte sich plötzlich eine Hand von hinten auf seinen von Krämpfen geschüttelten Rücken, ganz sanft. David wandte sich um, doch seine tränennassen Augen zeigten ihm nur verschwommene Schemen. Dann schob sich ein Gesicht, dessen Züge vage an diejenigen Alan Turings erinnerten, in sein Blickfeld und eine mitfühlende Stimme sagte: »Komm, David, ich bringe dich in mein Quartier. Da bist du ungestört. Und wenn du möchtest, teile ich deinen Schmerz mit dir.«

 
    Flucht
     
     
     
    In einem hatte Wilhelm Canaris Recht gehabt. Mit dem Ende der Ungewissheit war auch der Zersetzungsprozess in Davids Innerem zum Abschluss gelangt. Zurück blieb ein monströses, dunkles Nichts. Er hatte den Geschmack am Leben verloren, weil alles für ihn bitter war.
    David verzichtete auf die Agentenausbildung. Was sollte er noch damit? Bereits am Tage nach der niederschmetternden Nachricht von Rebekkas Tod kündigte er seinen baldigen Abschied von den Government Communications Headquarters an. Selten hatte Admiral Durban etwas so sehr bedauert wie diese Entscheidung. Aber er respektierte sie. David hatte für den Militärgeheimdienst mehr getan als manch anderer Agent während seiner gesamten Laufbahn.
    Etwa einen Monat später gab es eine kleine Gedenkfeier auf dem Brompton Cemetery in London. Für so einen einzigartigen Menschen wie Rebekka war die Trauergemeinde jämmerlich klein, dachte David. Außer ihm standen Sean und Sabrina Griffith, Alan Turing, Hugh Alexander, Admiral Jethro N. Durban und noch sechs oder sieben andere aus Bletchley am Grab. Rebekkas Mutter war nicht mit dabei. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris stand zu befürchten, dass man sie wie viele andere Juden in die Ostgebiete deportiert hatte, vielleicht in ein Ghetto oder sogar gleich nach Auschwitz oder in eines der anderen Konzentrationslager. David unterdrückte den Gedanken an ausgemergelte, von unbarmherziger Zwangsarbeit geschundene Körper, er wollte sich das Bild seiner geliebten Rebekka von früher bewahren.
    Die beiden Totengräber mochten die ganze Zeremonie als bizarr empfinden, schließlich wurde nur ein schneeweißer leerer Sarg beigesetzt. David hatte einfach – und wenn auch nur symbolisch – eine letzte Ruhestätte für seine Frau schaffen wollen, einen Ort der Erinnerung, der Mahnung. Rebekka sollte nicht so einfach verschwinden, als hätte es sie nie gegeben, von niederträchtigen Meuchelmördern ihres Lebens beraubt. Weinend blickte er auf den schwarzen Grabstein, dessen goldene Buchstaben vor seinen Augen verschwammen. Er kannte den Text der Inschrift auswendig.
     
    REBEKKA PRATT COUNTESS OF CAMDEN
    GEBOREN 21.3.1905
    GEOPFERT DEM GRÖSSENWAHN 1941
    JEDE SEKUNDE MIT DIR WAR MEHR WERT
    ALS ALLE JUWELEN DER WELT.
     
    Die in den Stein gemeißelten Abschiedsworte hatte er auf ihrer letzten Reise von Tokyo nach New York gesprochen. Damals war Rebekka voller Hoffnung gewesen. Die Erinnerung daran drohte David zu überwältigen. Er begann zu zittern, während ihm die Tränen in Strömen über die Wangen liefen. Sean und Sabrina umarmten ihn und strichen ihm tröstend über den Rücken, bis

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