Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
unscheinbaren Backsteinbau zu erstehen. Den Ausschlag hierfür gaben weniger Vernunftgründe als vielmehr seine Gefühle – der besagte Block lag am Rande von Greenwich Village, jenem New Yorker Viertel, in dem David eine sehr glückliche Zeit mit Rebekka verbracht hatte. Sein ganzes Denken und Handeln war von der Erinnerung an sie geprägt – wie konnte er da diesem Angebot widerstehen? Für den Erwerb der Immobilie verwandte er einen Großteil der als Lösegeld für seine Frau zurückgelegten Mittel. Auf diese Weise, flüsterte ihm eine Stimme tief aus seiner verletzten Seele zu, wirst du Rebekka nicht ganz verlieren.
Die Arbeit in der New Yorker Time-Zentrale unterschied sich im Grunde genommen kaum von Davids bisheriger journalistischer Tätigkeit. In seinem Verantwortungsbereich lag – wieder einmal – die Berichterstattung über Japan. Mit Whittaker Chambers hatte er einen neuen Vorgesetzten. Der Senior Editor für Auslandsnachrichten hatte erst kürzlich die Nachfolge von Laird Goldsborough angetreten. Untersetzt, wie er war, und mit ebenso wachen wie winzigen Augen erinnerte er an ein Wiesel mit Gewichtsproblemen.
David überarbeitete des Öfteren Artikel von Otto D. Tolischus, der auch für die New York Times aus Tokyo berichtete, und ergänzte dessen Material durch eigene Hintergrundinformationen. Je heftiger der Krieg in Europa tobte, desto größer wurde auch die Gefahr eines Übergreifens des Konflikts auf den pazifischen Raum. Das führte zwangsläufig zu einer stetig wachsenden Anzahl von Berichten aus dieser Weltgegend, was David wiederum sehr entgegenkam, wollte er sich doch mit der Arbeit betäuben.
Nachdem Japan im Jahr zuvor die Burmastraße gesperrt hatte, verhängten die USA Boykottmaßnahmen: Sie kündigten Handelsabkommen und kämpften mit Öl- und Schrottembargos gegen den »gelben Zwerg« im Osten. Die politischen Spannungen zwischen den beiden Ländern wuchsen von Tag zu Tag.
David rechnete mit einer baldigen japanischen Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten von Amerika. Vielleicht gingen sie aber auch ähnlich vor wie seinerzeit in der Auseinandersetzung mit Russland, damals hatten Torpedoboote zunächst einen Teil des gegnerischen Geschwaders in Port Arthur versenkt und erst danach war der Krieg erklärt worden.
Immerhin bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der amerikanische Geheimdienst rechtzeitig Wind von einem derartigen Plan bekommen würde, um die nötigen Verteidigungsmaßnahmen einzuleiten. In Bletchley hatte David einen jungen Verbindungsoffizier der US-Navy kennen gelernt und von ihm erfahren, dass Tokyo sich beim Nachrichtenaustausch mit seinen Botschaften unterschiedlichster Codes sowie einer speziellen Geheimsprache bediente. Für die wissensdurstigen Amerikaner stellte weder das eine noch das andere ein Problem dar.
Im November spitzte sich die Lage dann immer mehr zu. Am 26. des Monats erschien in der New York Times ein Artikel von Otto Tolischus über eine Sondersitzung des japanischen Reichstages. David hatte Ottos Stellungnahme per Fernschreiber bekommen und daraus einen umfangreichen Bericht im Time-Stil gemacht.
Die Parlamentssitzung sei wegen deren Wichtigkeit vom Tenno persönlich eröffnet worden, schrieb Otto. In seinem Artikel hieß es weiter:
Es war ein sehr kurzes Schauspiel. In der Uniform eines Generalissimus kam der Kaiser ziemlich unauffällig durch eine Seitentür herein und stieg zu dem Thronsessel oberhalb des Präsidententisches hinauf, während alle Würdenträger und Abgeordneten im Cut sich stumm verneigten.
Dann trat Hideki Tojo, ein ehemaliger General und seit kurzem Japans Premierminister, auf den Plan. Treffend beschrieb Otto die heuchlerische Unterwürfigkeit dieses Mannes, dessen Amtsantritt von nicht wenigen als klares Kriegsvorzeichen gedeutet worden war.
Tojo näherte sich mit einer Schriftrolle in der Hand dem Thronsessel und stolperte mit gesenktem Kopf ungeschickt die Stufen hinauf, da er in übertriebenem Respekt nur den rechten Fuß vorsetzte und den linken nachzog. Mit beinahe ungeduldiger Geste streckte der Kaiser die Hand aus, nahm die Rolle entgegen und verlas die Botschaft, die wahrscheinlich alle Rekorde an Kürze übertrifft: »Wir haben den Premierminister angewiesen, dem in Sondersitzung tagenden Reichstag verschiedene Gesetzentwürfe und Haushaltsvoranschläge, die mit der gegenwärtigen Ausnahmesituation zusammenhängen, vorzulegen. Sie sind hiermit angewiesen, Ihre Pflicht zu tun und
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