Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
weiteres halbes Jahr der Untätigkeit! Er atmete tief durch und antwortete: »Ich danke Ihnen, Sir. Darf ich jetzt gehen, Sir?«
»Natürlich, David. Ich verstehe, dass Sie diese Nachricht erst einmal verdauen müssen. Sie sind entlassen.«
David war Zivilist, obwohl er für das britische Militär arbeitete. Deshalb sparte er sich ein zackiges Aneinanderknallen der Hacken oder sonstige hektischen Bewegungen, die Untergebene in einem solchen Moment zu vollführen pflegten. Er stand einfach auf und verließ Admiral Durbans Büro.
Am Spätnachmittag des 8. Mai, drei Tage nach dem Gespräch im Faulkner House, tauchte Alan Turing höchstpersönlich an Davids Schreibtisch auf. Wie aus dem Boden geschossen stand er mit einem Mal da. »David, es ist noch eine Nachricht eingegangen, komm schnell in Hughs Büro.«
Die sieben anderen Analytiker, mit denen David sich das Barackensegment teilte, verfolgten die beiden mit ihren Blicken bis zur Tür. Jeder von Ihnen hätte wohl gerne gewusst, was für eine Nachricht wichtig genug war, um die Kreise des Mathematikgenies Turing zu stören.
»Kommt«, begrüßte Hugh Alexander die Männer, die inzwischen zu Freunden geworden waren. »Möchtet Ihr einen Kaffee?«
David und Alan schüttelten den Kopf.
»Die Dechiffrierung müsste jeden Augenblick abgeschlossen sein. Diesmal scheint es ein längerer Text zu werden.«
Einige Minuten lang redeten Alan und Hugh Alexander über ihre »Bomben«, ohne dass David besonders viel verstand. Er war ganz froh, nicht selbst an dem Gespräch teilnehmen zu müssen, weil er vor Aufregung sowieso an nichts anderes als die neue Botschaft denken konnte. War dies endlich das erhoffte Lebenszeichen von Rebekka?
Nach scheinbar endlosem Warten brachte eine der »Sklavinnen« den mit dem Namen der Geheimoperation beschrifteten Umschlag. Alan riss ihn ihr förmlich aus den Händen und begann gleich zu lesen. Nach wenigen Zeilen veränderte sich sein erwartungsvoll angespanntes Gesicht. Der neue Ausdruck gefiel David überhaupt nicht.
»Ich glaube, es ist für dich – persönlich« , sagte Alan betrübt und reichte ihm den Zettel.
Davids Arm schien ihm nicht mehr gehorchen zu wollen. Nur mit Mühe gelang es ihm, das Blatt aus Turings Hand entgegenzunehmen und dann noch ruhig zu halten, während er den erschütternden Inhalt las.
Exterminans! Teurer Weggefährte!
In den wenigen Gesprächen, die wir 1937 miteinander geführt haben, ist mir klar geworden, dass Sie ein ganz außergewöhnlicher Mensch sind. Umso schwerer fällt es mir nun, Ihnen diese Nachricht zu schreiben: Ich kann Ihnen leider keine Hoffnung machen, Ihre Frau jemals lebend wieder zu sehen.
Ohne Frage möchten Sie die näheren Umstände dieser für Sie zweifellos niederschmetternden Mitteilung erfahren. Wie von Ihnen empfohlen, habe ich meine »Fühler« in Richtung Franz von Papen ausgestreckt. Meine Leute sind zuletzt bei Heinrich Schildmann, dem einstigen Sekretär des Reichswehrministers Kurt von Schleicher, fündig geworden. Einige Zeit nach Schleichers Ermordung hat sich Papen der Dienste Schildmanns versichert. Wieder im Rang eines persönlichen Sekretärs, begleitete Schildmann den ehemaligen Reichskanzler nach Ankara, wo er ihm derzeit noch dient. Wir haben Schildmann zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet und ihm anschließend gesagt, Papen stehe unter dem Verdacht für eine fremde Macht zu arbeiten. Vermutlich sah sich der Sekretär schon als Mittäter einem Exekutionskommando gegenüberstehen – jedenfalls verriet er meinem Kontaktmann, Anfang September 1 939 unter Papens Dokumenten eine Mitteilung gefunden zu haben, die offenbar nicht für seine Augen bestimmt war. Sie stammte von einem gewissen Antonio Scarelli und enthielt einen Namen, der Schildmann sogleich ins Auge sprang. Das war auch der Grund, weshalb er sich den Wortlaut der Botschaft so genau einprägen konnte: »Habe Pratt ausfindig gemacht. Er bedeutet für den Kreis bald keine Gefahr mehr. Auch seine Frau nicht. In Ravensbrück sterben viele Juden. Manche schon innerhalb einer Woche.« Wie es aussieht, hat Papen von München aus einige Maßnahmen eingeleitet, für die mir kein besseres Wort als »teuflisch« einfallen will.
Es tut mir unendlich Leid, Ihnen keine bessere Nachricht geben zu können. Manchen Menschen bereitet das ungeklärte Schicksal ihrer Lieben größere Pein als die Gewissheit, dass alles Leiden für sie ausgestanden ist. Wenigstens in diesem Sinne hoffe ich, Ihnen einen
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