Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Patrioten, sich in unmittelbarer Nähe des Tennos in die Luft zu sprengen.
Derartige Demonstrationen richteten sich natürlich nie gegen den göttlichen Kaiser selbst, sondern dienten vielmehr dem Zweck, dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Schon bei den geringsten Anzeichen einer unpatriotischen Entwicklung konnte es vorkommen, dass tausende im Land sich einen Finger abschnitten und diesen als Beleg ihrer Besorgnis per Post an den geliebten Tenno schickten. Da selbst auf einen wohlmeinenden Monarchen der Anblick von so viel Ergebenheit auf Dauer ermüdend wirken musste, wurde der Eingang zu den Gärten des Palastes scharf bewacht.
David hatte seinen Geländewagen kaum verlassen, als er sich schon von mindestens einem Dutzend Leibgardisten umstellt sah. Fest zupackende Hände legten sich ihm wie Eisenklammern um die Oberarme. Sein unasiatisches Äußeres schien hier einhellig auf Ablehnung zu stoßen. Eindeutiges Indiz dafür waren die blitzenden Bajonette und die unfreundlichen Gesichter, die man ihm zeigte.
»Wissen Sie nicht, dass dies ein Sperrbezirk ist?«, fuhr ihn ein herbeigeeilter Offizier an. Der Mann hatte etwas von einer Reitpeitsche an sich: Figur, Größe und Worte, die wie Hiebe knallten, alles stimmte. Offenbar erwartete er von einem Europäer nicht unbedingt eine verständliche und zugleich befriedigende Antwort und war deshalb umso erstaunter, als der Fahrer des Geländewagens in akzentfreiem Japanisch entgegnete: »Natürlich ist mir das bekannt. Allerdings dachte ich, Sie seien mit dem Protokoll vertraut. Ich halte mich nur an die Regeln des Hofes, wenn ich die Nijubashi benutze, um dem Kaiser meine Aufwartung zu machen.«
Zweifellos bestätigte David mit dieser Erwiderung nur das bereits stark verfestigte Vorurteil des Offiziers, die Deutschen oder Italiener im Land seien zumindest wichtigtuerisch, wenn nicht gar komplett unzurechnungsfähig.
Man würde ihn verhaften, überprüfen und dann entweder exekutieren oder in irgendein Lager stecken. Der Leibgardist machte eine herrische Geste, die wohl »Abführen« bedeuten sollte.
»Halt!«, sagte David streng. »Ich kann beweisen, dass ich im Auftrag des Mikados unterwegs bin. Dazu müssten Sie mich allerdings an meine Brieftasche lassen, damit ich Ihnen das betreffende Schriftstück zeigen kann.«
Die Wachen reagierten augenblicklich: Der Griff ihrer Hände lockerte sich. Mehr noch als der gebieterische Ton hatte sie seine höfische Sprechweise verwirrt, die für normale Japaner fremdartig, wenn nicht gar unverständlich klang.
»Wo befindet sich dieses Dokument?«, fragte der Offizier ruhig, fast höflich. Davids Auftreten hatte auch bei ihm seine Wirkung nicht verfehlt.
Er deutete mit der Nasenspitze auf seine linke Körperseite. »Hier in der Brusttasche.«
Ohne die Augen von Davids Gesicht zu nehmen, griff der Leibgardist zu und zog eine längliche schwarze Ledermappe hervor. Er klappte sie auf, und nachdem er darin weder eine Pistole noch eine andere Waffe entdeckt hatte, bedeutete er seinen Untergebenen die Arme des Gefangenen loszulassen, damit dieser selbst das geheimnisvolle Schriftstück heraussuchen konnte. David förderte nun ein gefaltetes und mit einer Seidenschnur zusammengebundenes Blatt Papier zutage. Seit fast sechzehn Jahren trug er es jetzt mit sich herum, was man dem labbrigen Schriftstück auch ansah. Er war heilfroh, dass er es – bis auf einmal, als Hermann Mielke es für ihn verwahrte – nie aus der Hand gegeben hatte. Jetzt hielt er es mit einem Lächeln dem Leibgardisten hin.
Als der Offizier auf dem gelblichen Quadrat den leuchtend roten Stempel des Mikados entdeckte, schienen seine Knie weich und er selbst um ein ansehnliches Stück kleiner zu werden.
»Bitte öffnen Sie es«, forderte David den Mann auf.
Der sah den Europäer aus großen Augen an.
»Ich bestehe darauf!«
Nervös nestelte der Leibgardist an dem Seidenbändchen herum. Nach einer Weile gelang es ihm, das kaiserliche Empfehlungsschreiben zu entfalten. Als er den Inhalt las, wurden seine Augen noch größer. Dann schien sein Körper vor Ehrfurcht zu gefrieren. Erst nach einer Weile taute er wieder auf. Er bellte die anderen Soldaten an, sie sollten gefälligst ihre Bajonette wegnehmen und nicht mehr »den Gast des Mikados« belästigen. Schließlich verbeugte er sich tief vor David.
»Bitte verzeiht mir mein respektloses Benehmen. Ich wusste ja nicht, dass Ihr ein Vertrauter des göttlichen Mikado seid…«
»Schon gut«, unterbrach David den
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