Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Leibgardisten, und weil er befürchtete, dieser könne nun seine traditionellen Pflichten allzu genau nehmen, fügte er schnell hinzu: »Und unterstehen Sie sich, jetzt zu Ihrem wakizashi zu greifen und sepukku zu begehen. Sie haben nur Ihren Kaiser bewacht, wie sich das gehört. Es gibt also keinen Grund sich wegen dieser kleinen Auseinandersetzung von eben das Leben zu nehmen.«
»Ihr seid zu freundlich«, antwortete der Offizier erleichtert.
David durfte jetzt sogar mit dem Geländewagen über die Doppelbrücke Nijubashi fahren. Der Offizier hatte ihm einen »Führer« mitgegeben und mehrfach darum gebeten, diese Geste nicht als ungerechtfertigtes Misstrauen fehlzudeuten.
Obwohl David den Palastbezirk gut kannte, war er für seinen Begleiter doch sehr dankbar. Auf dem Gelände hatte sich einiges verändert. Diese Insel des Friedens und der Harmonie, die er seit seinen frühen Kindestagen kannte, war vom Krieg nicht verschont geblieben. General MacArthur hatte David zum Glück vorgewarnt.
Da die Stützpunkte der amerikanischen Bomberstaffeln nahe an die Hauptstadt herangerückt waren, wurde diese nun bei Tag und Nacht aus der Luft angegriffen. Vielen der japanischen Flakgeschütze fehlte für eine effektive Verteidigung längst die Munition. Bei einem der Bombardements war es zu einem peinlichen Zwischenfall gekommen. Der Kaiserpalast hatte Feuer gefangen.
Schon während der Anfangsphase der Luftangriffe war David nicht müde geworden, General MacArthur vor den Konsequenzen einer möglichen Bombardierung des Tennowohnsitzes zu warnen. Nach einem Aufschrei der Empörung würden die Japaner zusammenrücken, um nur noch entschlossener gegen die Alliierten zu kämpfen. Tatsächlich hatte General MacArthur den Rat befolgt, aber dann hatte sich der Wind quer gestellt. Aus den brennenden Häusern der angrenzenden Viertel waren einige schwelende Papierfetzen in den Palastbezirk getragen worden, worauf die dortigen Holzgebäude Feuer gefangen hatten. Nur die Ziegelhäuser aus der Meiji-Zeit waren stehen geblieben. Alles andere wurde ein Raub der Flammen.
Der Führer dirigierte nun David zu einem Steinpalast, dessen Vorplatz mit Kies bestreut war. Vier Uniformierte eilten dem Geländewagen schon entgegen, bevor dieser noch ganz zum Stillstand gekommen war. Der Soldat an Davids Seite setzte die Wache über den Besucher und dessen kaiserliches Empfehlungsschreiben in Kenntnis. Es vergingen dann kaum zehn Minuten, bis David Hirohitos Bibliothek betrat, wo der Tenno bereits auf ihn wartete.
Hirohito war schon immer schlank gewesen, jetzt aber erschrak David, weil sein alter Freund regelrecht abgezehrt aussah. Die ernsten Augen hinter den Brillengläsern ließen die Spuren sorgenvoller Jahre erkennen. Im Moment blickten sie außerdem ziemlich ratlos drein, weil das Gesicht des Fremden dem Kaiser offenbar nichts sagte.
Seit August 1929 hatten sich die beiden Männer nicht mehr gesehen. David färbte sein weißes Haar nicht mehr.
Der sauber gestutzte Vollbart tat ein Übriges, um Hirohito zu verwirren. Mit leiser Stimme begann David die Worte eines Gedichts aufzusagen, dessen erste Verse er vor langer Zeit für seinen Freund geschrieben hatte.
Schön, auf den Rat eines Freundes zu hören. Schön, sich auch nicht am Tadel zu stören. Schön, der Weisheit sein Ohr zu leihen. Schön, der Wahrheit sein Leben zu weihen. Schön, sich auch nur an der Schönheit zu laben, Die güld’ner Ball und Schwert für uns haben.
Äußerlich blieb Hirohito unbewegt. David entging dennoch das Leuchten in den Augen des Freundes nicht. Den Leibwachen musste es merkwürdig vorkommen, dass ihr göttlicher Tenno nun seinerseits mit einem Gedicht antwortete.
Die Meere umgeben die ganze Welt
Und mein Herz schreit zu den Völkern der Erde.
Warum denn zerstören
Winde und Wellen der Zwietracht
Den Frieden, der zwischen uns herrscht?
Mit einer knappen Geste entfernte der Tenno alle unerwünschten Zuhörer aus der Bibliothek. Dann wandte er sich mit einem traurigen Lächeln David zu.
»Dich schicken die Götter, David-kun. Wie oft habe ich mich in den vergangenen Jahren nach dir gesehnt! Und nun ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen. Aber du hast dich verändert.«
»Du solltest dich doch an mein weißes Haar erinnern können, Hito-kun.«
»Es ist nicht dein Haar, das mir Sorgen bereitet. Es sind deine Augen. Was ist geschehen, mein Freund?«
Unwillkürlich blickte David zu Boden. Einen Moment lang drohte er seine Fassung
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