Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Professor den aufgebrachten Kreis Jäger. »Ich will Ihre Leistung ja nicht schmälern. Aber überlegen Sie doch einmal: Dieser Geheimbund korrumpiert Menschen bis in höchste Regierungsämter hinein, er bedient sich dabei internationaler Verbindungen und selbst der innerste Kreis verfügt noch über zwölf Köpfe. Sie sind allein.«
»Es sind keine zwölf mehr.«
»Warum weigern Sie sich eigentlich, den Tatsachen ins Auge zu sehen, David?«
Der blickte zu Boden. Leise sagte er dann: »Weil schon zu viele, die mir geholfen haben, dafür sterben mussten.«
»Ich glaube, Sie verkennen die Lage, David.« Leopardis Zeigefinger hatte sich im Schnurrbart verfangen. Trotz heftigen Ziehens bekam der Professor ihn nicht gleich frei, was weniger seine Ausführungen als Davids Konzentration störte. »Ich rede gar nicht von so engen Vertrauten wie Familienmitgliedern oder ermordeten Freunden. Vielmehr rate ich Ihnen ein weites Netz zu knüpfen, wie eine Spinne. Selbst wenn dann einer Ihrer Fäden reißt, nimmt das ganze Geflecht dadurch keinen Schaden. Auch der Großmeister des Geheimzirkels, dieser Lord Belial, wird das erkennen müssen. Denken Sie an die beiden Zwillingsschwestern, die Ihnen in Washington geholfen haben. Sind sie etwa von Negromanus getötet worden?«
»Nein, weil er nicht alle umbringen kann, die mir helfen.« David nickte verstehend. »Sie haben Recht, Professore. Hinterließe der Kreis bei seiner Arbeit eine Spur von Leichen, würde man ihm früher oder später auf die Schliche kommen. Und Geheimhaltung ist sein oberstes Prinzip.«
Leopardi klatschte vergnügt in die Hände. »Corretto, jetzt tanzen wir im Takt, amico mio! Und deshalb hat der Zirkel auch immer nur die Menschen getötet, die Ihnen, David, sehr nahe standen, hat also in Wirklichkeit Sie persönlich angegriffen. Manchmal ließ er auch Personen ermorden, die sich so weit vorgewagt hatten, dass sie eine unmittelbare Gefahr für ihn darstellten.«
Oder beides. Armer Yoshi. »Aber wie soll ich das machen? Ein solch großes Agentennetz aufzubauen, meine ich. Durch den Börsenkrach habe ich einen Groß’ teil meines Vermögens verloren. Der klägliche Rest davon mag ja meine Frau und mich noch eine Weile über Wasser halten, aber es reicht bei weitem nicht, um ein Heer von Schnüfflern zu bezahlen.«
»Sie sind im Besitz von etwas, was mehr wert ist als alles Gold der Welt, mein Freund, und das ist die Wahrheit. Ich habe noch nie einen Menschen so überzeugend reden hören wie Sie. Mich haben Sie bereits überzeugt. Ich werde Ihnen helfen. Und glauben Sie mir: Ich werde nicht der Letzte sein. Verraten Sie den Menschen nichts, was deren Leben gefährden könnte, aber sagen Sie ihnen immer die Wahrheit. Das wird Ihnen ihre Herzen öffnen.«
Allmählich begann sich David mit dem Gedanken anzufreunden. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann hatte der Professor Recht. Der Mediziner musste wirklich einmal ein fähiger Lehrer gewesen sein. Ach was! Er war es immer noch.
Leopardis Rat führte David nun zu Menschen anstatt zu alten Folianten, Manuskripten und Inkunabeln. Er suchte nach Gleichgesinnten. Ja, so konnte man sie wohl nennen. In gewisser Hinsicht waren es Jünger, die er an sich zog, Lernende, Menschen von verwandter Gesinnung. Für diese richtete er in seinem Schattenarchiv eine neue Sektion ein, die sowohl männlichen wie auch weiblichen Namen offen stand, was sich aus dem etwas irreführenden Oberbegriff »Bruderschaft« nicht unmittelbar ableiten ließ – sollte er je eine Aktivistin aus der Frauenbewegung für sich gewinnen, würde er die in Geheimschrift abgefasste Dossiersammlung wohl in »Geschwisterkartei« umbenennen müssen.
Wen wundert’s, dass der erste »Bruder« dann auch eine »Schwester« war. Sie hieß Francesca Alessandro, sprach Französisch und arbeitete als Bibliothekarin in der Bibliotheca Ambrosiana. Die vollschlanke, annähernd dreißigjährige Signorina erinnerte in vielem an das emsige Hummelchen aus der Sorbonne. Francesca hütete Zeichnungen und Notizen des großen Leonardo da Vinci, die Schriften Vergils sowie viele andere Schätze uralten Wissens.
Wie schon so oft, wenn er bei anderen ein bestimmtes Ziel verfolgt hatte, begann David mit Francesca Alessandro zunächst ein unverfängliches Gespräch über ihre Arbeit zu führen. Er lobte ihren unschätzbaren Beitrag für den Dienst an der Wahrheit. Ganz vorsichtig, stets auf ihre Antworten und die Körpersprache achtend, ließ er danach einige
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