Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
sträflicher Leichtfertigkeit an alle möglichen und unmöglichen Bauwerke und Objekte vergeben hatten. Abgesehen von den ihm schon bekannten Lokalitäten gab es eine Porta Palatina in Turin, eine Cappella Palatina in Palermo, eine Bibliotheca Palatina in Mailand sowie eine weitere in Parma, ein antikes Werk namens Antologia Palatina, das von dem griechischen Lyriker Anakreon stammte…
Er hätte sich die Haare raufen können. Wie sollte er sich in diesem Wust von Informationen jemals zurechtfinden?
Oftmals kehrte er am Abend mürrisch in Professor Leopardis Wohnung zurück. Seine gereizte Stimmung wurde dann auch nicht besser durch Caterina Cecchettis Wortergüsse, die sie ausgiebig, und als gebe es nichts Wichtigeres auf der Welt, über Rebekka ausschüttete. Diese Haushälterin! Eine immerfort ratternde Wortmaschine. Am liebsten erzählte sie von ihrem berühmten Onkel, einem Ballettmeister namens Enrico Cecchetti, der in Sankt Petersburg Triumphe gefeiert und bis zu seinem kürzlichen Tode die Ballettschule der Mailänder Scala geleitet hatte. Über diesem Thema konnte sie ihre einhundert Kilo Lebendgewicht völlig vergessen und mit Töpfen und Kochlöffeln in den Händen auf Zehenspitzen anmutig durch die Küche tänzeln. Ihr in solchen schwerelosen Momenten zuschauen zu dürfen wäre schon ein ansehnliches Eintrittsgeld wert gewesen, doch David hatte für sie kein Auge. Weder Caterinas Tanz noch ihre Worte konnten ihn fesseln. Das alles kam ihm so bedeutungslos vor, wo er doch ausgezogen war, um die Welt zu retten.
Zum Glück gab es da noch den alten Professor, der die bewunderungswürdige Gabe besaß, seinen Gast aus düsteren Gedanken aufzuscheuchen und schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Bei einer Flasche Rotwein diskutierten er und der Professor manchmal bis in die frühen Morgenstunden hinein. Zum Glück sprach Leopardi fließend Französisch und Englisch, was David die Konversation sehr erleichterte. Ansonsten wäre ihnen nur noch Latein als gemeinsame Gesprächsbasis geblieben.
Die zwei so unterschiedlichen Männer entwickelten bald eine tiefe Wertschätzung füreinander. Der betagte Mediziner war ein ungemein belesener Mann. Zudem besaß er einen Scharfsinn, dem Davids aus Andeutungen und Halbwahrheiten errichtete Kulisse zum Schutz seines Geheimnisses nur kurze Zeit standhalten konnte. Zuletzt vertraute er sich dem Professor in der gleichen Weise an, wie er es in früheren Jahren schon bei dem gewitzten Lieutenant Hastings oder bei Henry Luce getan hatte: Er habe Kenntnis von einer großen Verschwörung, deren Hintermänner beinahe seine gesamte Familie auf dem Gewissen hätten. Dieser Kreis der Dämmerung verfolge den Plan, die Menschheit in den Untergang zu treiben.
Nachdem sich David dem Professor erst einmal offenbart hatte, wunderte er sich, wie wenig der sich an dem zweifellos phantastischen Bericht störte. Anstatt daran herumzukritteln, zwirbelte er nur eine Weile nachdenklich den Schnurrbart zwischen Daumen und Zeigefinger, schmunzelte und sagte: »Ich glaube, Sie machen einen grundsätzlichen Fehler, Francois – oder darf ich Sie David nennen?«
Der zuckte mit den Schultern. »Solange Sie es nicht in der Öffentlichkeit tun, Professore. Was für einen Fehler meinen Sie?«
»Sie suchen nun bald seit vierzehn Jahren nach diesem Geheimbund und sind erst wenig vorangekommen. Ihr Adoptivvater, der Herzog von Atholl, hat Ihnen geraten, den Drachen beim Schwanz zu packen. Dadurch ist es Ihnen gelungen, diesen Ohei Ozaki zu finden und den japanischen Kopf der Amur-Gesellschaft. Auch haben Sie auf den Rat von Menschen gehört, die Ihnen wohlgesinnt waren – ich kann mir die vielen Namen nicht merken. Nicht zuletzt konnten Sie eine Menge nützliches Wissen sammeln. Und doch werden Sie diese vielen Hilfestellungen nicht zum Ziel führen, David.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Professore Leopardi?«
»Mitarbeiter.«
»Wie?«
»Jede große Jagd benötigt eine Schar von Treibern. Ergo brauchen Sie einen Stab von Helfern. Nicht nur Gelegenheitsarbeiter, wie bei der Hatz auf den Ku-Klux-Klan. Das war sicher ganz nett…«
»Ich bitte Sie! Die Pressekampagne hat den Boden aufgeweicht, auf dem der Klan fest zu stehen glaubte, und die Weltwirtschaftskrise hat ihn nun zu Fall gebracht. Seit den schwarzen Tagen der Wall Street verliert er jeden Tag hunderte von Mitgliedern. Bald wird er nur noch ein armseliges Häuflein von…«
»Beruhigen Sie sich, David«, unterbrach der
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