Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
war nicht immer erkennbar, aber fast überall wirksam.
Die letzte Unterhaltung mit Professor Leopardi hatte David nachdenklich gestimmt. Sie ließ in seinem Unterbewusstsein einen Entschluss reifen, der jedoch erst durch den Schock geboren werden sollte, den ein schreckliches Ereignis bei ihm auslösen würde. Der Vorfall trug sich am 8. Februar 1930 zu, David besuchte gerade mit Rebekka den großen Markt zu Füßen des Mailänder Doms.
Rebekka liebte das lebendige und bunte Treiben zwischen den Marktständen. Wenn man die Auslagen betrachtete und einem die Rufe der Marktschreier in den Ohren gellten, konnte man fast vergessen, dass die Welt sich in einer Wirtschaftskrise befand. Zwar gab es um diese Jahreszeit keine frischen Früchte, aber der Geruch von Gewürzen, Nüssen, Glühwein und Gebratenem war verlockend genug, um dann und wann einige Lire locker zu machen. Manchmal wurde verbissen gefeilscht, meist einfach nur temperamentvoll geschwatzt, beides schon aus der Ferne erkennbar an den lebhaften Wölkchen, die den Mündern der Marktbesucher entstiegen.
David freute sich mit seiner Frau. Wenn sie lachte und dabei ihre dunkle Lockenpracht schüttelte, vergaß er für einen Moment die bitteren Gedanken, die seit den tragischen Ereignissen um die Fehlgeburt in ihm wohnten. Ein roter Wollschal hatte Rebekka etwas zugerufen. Jedenfalls behauptete sie das.
»Komm, cheri«, rollengerecht sprach sie ihn auf Französisch an, »der Schal da drüben will mir etwas sagen.«
»Ist mir völlig neu, dass Kleidungsstücke auch sprechen können«, brummte David. Während eines Einkaufsbummels wurde er immer schnell müde. Gleichwohl ließ er sich von Rebekka widerspruchslos zu den Auslagen des betreffenden Händlers schleppen.
Sie deutete auf das geschwätzige Stück, und nachdem der Verkäufer, ein stämmiger Mann mit aschblondem Haar, ihr den Schal ausgehändigt hatte, schlang sie ihn sich sogleich um den Hals. Der Standbesitzer brach in wahre Begeisterungsstürme aus. Noch nie habe eine derart hinreißende Schalträgerin seinen Stand geziert. Rebekka lächelte geheimnisvoll und riskierte einen prüfenden Blick in den Spiegel des Schmeichlers. Was sie dort sah, schien auch ihre Zustimmung zu finden. Aufgeregt drehte sie sich zu David um.
»Steht er mir nicht ausgezeichnet, cheri!«
Ihr dunkelgrauer Mantel, das rabenschwarze Haar und der rote Schal – sie sah phantastisch aus. Aber David mimte den Überkritischen. Unberührt durch das Sperrfeuer der Komplimente von der anderen Seite des Tisches musterte er Rebekka mit zusammengekniffenen Augen. »Na ja, ist schon ganz nett.«
»Nur nett?«
David musste lächeln. »Kein noch so kostbarer Schal kann dich schmücken, cheri, du allein bist es, die allem Glanz verleiht.«
Rebekka überlegte noch. Einen Moment lang beäugte sie ihren Gemahl zweifelnd, dann endlich zog sie die Nase kraus und lachte. »Du bist wirklich ein Schlawiner, aber einer von der süßen Sorte, weißt du das?«
Bevor er antworten konnte, hatte sie ihn schon auf den Mund geküsst.
Der Wollhändler räusperte sich nun vernehmlich. »Möchten Sie gerne den Schal kaufen oder kann ich Ihnen noch etwas anderes zeigen, Signora?«
Rebekka konnte sich nur mit Mühe von ihrem Schlawiner lösen. Nach einem herausfordernden Blick auf ihren Gatten wandte sie sich dem Verkäufer zu.
»Mein Mann ist nicht ganz überzeugt von dem Stück. Ich würde gerne noch Ihre anderen Waren sehen.«
David stöhnte leise. Er konnte Rebekka stundenlang in den Armen halten, aber wenn er ihr beim Einkaufen zusehen musste, erschöpfte sich seine Ausdauer meist schon nach wenigen Minuten.
Während Mme. Cournot dem Spiegel nun in allen erdenklichen Posen weitere Schals vorführte, ließ David seinen Blick über den Markt schweifen. Was für ein friedliches Bild! In der Nähe feilschten eine alte Frau und ein Bauer mit hochrotem Kopf wortreich um den Preis einer Flasche Grappa. An einem anderen Stand war ein ernstes kleines Mädchen darin vertieft, sich das Gesicht mit dunkelblauer Marmelade anzumalen, während gleich daneben eine lauthals lachende Kundin – vermutlich die Mutter der jungen Künstlerin – mit der Verkäuferin Anekdoten auszutauschen schien. Auf der anderen Seite erblickte David einen Schuljungen im Wettlauf mit einem dickleibigen Standbesitzer. Der Knabe hielt einen Apfel in der Hand und hatte bereits einen beachtlichen Vorsprung. Dann sah David den Spion…
Zunächst war er von der Entdeckung völlig
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