Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Gottes«, übersetzte der Mönch augenzwinkernd. »Das Motto der Jesuiten. Und nun kommen Sie. Ich werde Sie hier herausbringen.«
Der Ordensbruder mit den merkwürdigen Ansichten führte David zu einem vergleichsweise kleinen Portal im südlichen Teil des Doms. Mit einem Fausthieb überredete er das klemmende Schloss zum Nachgeben. Nun ließ sich die Tür mühelos öffnen.
»Sie scheinen sich ja hier gut auszukennen«, meinte David staunend.
»Nun ja«, antwortete der Mönch lächelnd. »Eigentlich sollte sich jeder von uns Fratres in der Grabeskirche des heiligen Petrus auskennen. Ich wünsche Ihnen ein gutes Entkommen, Signore…?«
»Cournot. Francois Cournot.«
»Und mein Name ist Lorenzo Di Marco. Es war schön, mit Ihnen zu reden. Gott segne Sie, Signor Cournot.«
Es widerstrebte David, den jungen Ordensmann mit »Vater« oder »Bruder« anzusprechen, daher erwiderte er einfach: »Herzlichen Dank für Ihre Hilfe und leben Sie wohl.«
Wieder unter freiem Himmel, suchte sich David entlang der Südfront des Doms einen Weg zum Petersplatz zurück. Hätte er die Kirche unter dem Säulenvorbau am erhöhten Osteingang verlassen, wäre er wachsamen Augen unweigerlich aufgefallen. Aber falls der andere Mönch noch irgendwo auf dem Platz lauerte, konnte David jetzt den Spieß umdrehen.
Während er bedächtigen Schrittes in die Schatten des Säulengangs eintauchte, der die Piazza di San Pietro umfing, ließ er den Blick über das weite Rund schweifen. Über seinem Kopf murmelten Stimmen – nur das Hadern des Frühjahrssturms über die verfängliche Architektur der Kolonnaden. Dennoch fröstelte ihn. Sein Anzug war besseres Wetter gewohnt. Vom schwarzen Mönch fehlte jede Spur. Aber was hieß das schon? Der in Viererreihen gestaffelte Säulengang machte es David unmöglich, jeden Winkel zu überblicken. Um Gewissheit zu erlangen, bewegte er sich entgegen dem Uhrzeigersinn unter den Kolonnaden entlang. Jederzeit bereit – ja, zu was eigentlich?
Er würde den Mönch beobachten. Vielleicht ließen sich aus dem Verhalten des Jesuiten irgendwelche Rückschlüsse ziehen. Und sollten sich ihre Blicke noch einmal kreuzen, dann würde David die offene Konfrontation suchen. Endlich hatte er einen Entschluss gefasst. Dieses Versteckspiel dauerte schon viel zu lange.
Als er das Ende des Platzes fast erreicht und noch immer nichts entdeckt hatte, trat David langsam aus den Schatten heraus. Die Kolonnaden glichen zwei Halbkreisen, die selbst hier, am östlichen Punkt ihrer größten Annäherung, noch weit auseinander standen. Um den gegenüberliegenden Säulengang zu erreichen, musste er ins Freie treten und die Straße überqueren. Nur wenige Meter von ihm entfernt stand eine Familie: Vater, Mutter und drei Kinder, die mit ausgestreckten Armen quer über den Platz deuteten. Die nervösen Zeigefinger zielten auf ein Gebäude jenseits der nordwestlichen Begrenzung des Platzes. Aufgeregte Kommentare in italienischer Sprache – für David nur unverständliche, nicht enden wollende Bandwurmsätze – verliehen der Szenerie eine geradezu ansteckende Dramatik.
Für einen kurzen Moment ließ sich David ablenken. Er lehnte sich gegen eine Säule, beschirmte die Augen mit der Hand und blickte zu dem fünf- oder sechsstöckigen Haus hinüber. Soweit ihm bekannt, bewohnte Pius XI. dieses Gebäude, Tatsächlich glaubte er für Sekunden in einem Fenster der obersten Reihe, ganz rechts, eine Bewegung zu sehen. Schon erstaunlich, welche Begeisterung selbst minimale Lebenszeichen dort oben unter den Menschen hier unten auslösen konnten.
David ließ wieder von dem Fenster ab und konzentrierte sich auf seine nähere Umgebung. Zum Glück hatte er seine Sinne gerade noch rechtzeitig geschärft, um ein schreckliches Unglück vorauszusehen.
»Attenzione!«, schrie er und stürzte vorwärts. Ein Teil seiner Aufmerksamkeit galt der vom Kolonnadendach herabstürzenden Steinfigur, die andere einem kleinen Jungen. David machte einen gewaltigen Hechtsprung, riss das Kind an sich und noch im Fallen drehte er sich auf den Rücken. Der Aufprall war schmerzhaft.
Im selben Moment krachte die Statue auf das Pflaster und zerbarst in weißgraue Splitter – an genau derselben Stelle, an der eben noch der Knabe gestanden hatte.
Jetzt lag das vielleicht fünfjährige Bürschlein stumm auf Davids Brust und starrte ihn aus großen Augen an.
»Geht es dir gut, Kleiner?«
Der Junge fing an zu brüllen.
Endlich hatte der Vater des Geretteten seine
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