Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
unterschied sich auffällig von den Amtsräumen des Staatssekretariats. Neben den ausladenden Ölgemälden großer Meister sah David Fresken von atemberaubender Qualität, Marmor in allen erdenklichen Farben, unglaubliche Mengen Gold und kostbare Hölzer in meisterhafter Verarbeitung. Auf dem Weg durch die imposanten Räumlichkeiten gelangte David zu der Überzeugung, diese überraschende Wendung könnte sich für ihn in zweifacher Hinsicht als nützlich erweisen. Ihm lag viel daran, die Rolle der Kirche in Belials Jahrhundertplan zu ergründen, aber ganz nebenbei ließ sich vielleicht auch noch in Erfahrung bringen, wer dieser geheimnisvolle Besucher mit dem Goldring war, den Kardinal Pacelli so eilig in sein Arbeitszimmer geschleust hatte.
Endlich öffnete sich vor David die Tür zu einem großen Zimmer, das ganz mit roter Samttapete ausgeschlagen war. Durch die gegenüberliegenden Fenster konnte man undeutlich den Petersplatz erkennen. Rechts befand sich ein wuchtiger Kamin aus weißem Marmor. Und in der Mitte – flankiert von zwei Ordensbrüdern – saß der Papst. Pius XI. strahlte wie ein Großvater beim Besuch seines Enkels. Da dem Oberhaupt der katholischen Kirche solche Freuden nicht vergönnt waren, besaß es gewissermaßen einen Überschuss an unverbrauchten Gefühlen, von denen David nun eine volle Breitseite abbekam.
»Herein, herein!«, rief Pius XI. der mit bürgerlichem Namen Ambrogio Damiano Achille Ratti hieß. Der wohlbeleibte Papst trug einen weißen Talar und eine Kappe derselben Farbe. Er wedelte mit den Händen, als könne er es nicht erwarten, seinen Besucher persönlich zu begrüßen.
Mehr noch als die rätselhafte Ungeduld des Papstes irritierte David der braun gewandete Mann links neben dem Pontifex Maximus. Es handelte sich dabei um den jungen Mönch aus der Peterskirche. Als David näher humpelte, flüsterte der Ordensbruder seinem Heiligen Vater etwas ins Ohr.
»Spare Er sich den Kniefall«, sagte Pius, als David vor ihm zum Stehen gekommen war. Er lächelte listig und fügte hinzu: »Wir wollen ausnahmsweise darauf verzichten, um Sein verletztes Bein zu schonen.« Dann neigte er sich nach links und sagte zu dem älteren der beiden Ordensbrüder: »Frater Angelico, bitte rufe Er einen Arzt, damit dieser sich um den jungen Mann kümmere.«
Pius wartete, bis der Mönch den Raum verlassen hatte. Hierauf flüsterte er: »Frater Lorenzo hat Uns schon verraten, dass Er der ewigen Verdammnis ausgeliefert ist.«
David blinzelte verwirrt. »Ich fürchte, mir ist nicht ganz klar…«
»Schon gut«, unterbrach ihn Pius und lachte schallend. »Prinzipiell erwarten die Höllenqualen jeden, der nicht im Schoße der heiligen Mutter Kirche ruht, aber Wir haben Ihn nicht zu Uns gerufen, um mit Ihm einen Disput über Glaubensfragen zu führen. Das überlassen wir lieber den Fratres des Heiligen Offiziums.«
Den Brüdern der katholischen Inquisition! , übersetzte Da vid für sich und schluckte. Der Wolf unter den kirchlichen Institutionen hatte sich im Jahre 1908 den Schafspelz eines neuen Namens übergestreift. »Und warum habt Ihr mich dann gerufen?«
»Weil Wir Ihn unbedingt kennen lernen wollten. Wir haben Ihn beobachtet, da draußen.« Pius deutete zum Fenster. »Er hat Sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, um dieses Kind zu retten. Das war nicht nur tapfer von Ihm, sondern es verrät auch Seine Großherzigkeit – zwei Eigenschaften, die man heute nur noch selten findet. Wir sind der Meinung, Er hat sich dafür einen Orden verdient.«
David schlug die Augen nieder. Oh nein, nicht schon wieder! »Ihr seid zu gütig, Exzellenz, aber das war keine große Sache für mich. Ehrlich gesagt habe ich in dem Augenblick nicht lange nachgedacht. Es kam einfach so über mich…«
»Was umso mehr ein beredtes Zeugnis für Seine selbstlose Nächstenliebe ist, die Unsere Anerkennung und Unseren tief empfundenen Dank verdient, Frater Lorenzo hat Uns schon verraten, was für ein bemerkenswerter Mensch Er ist. Abgesehen von dem Orden, den wir Ihm hiermit avisieren wollen, ist das noch ein weiterer guter Grund für Uns mit Ihm bekannt zu werden.«
David blickte ungläubig in das geheimnisvoll lächelnde Gesicht des jungen Mannes, Allmählich dämmerte ihm, dass manche dahingeworfene Bemerkung des Ordensbruders in der Peterskirche wohl doch einen tieferen Sinn gehabt hatte, »Bei allem Respekt, aber wie kann Pater Di Marco so etwas sagen? Wir haben uns doch höchstens zehn Minuten lang gesprochen.«
Pius
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