Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Italien wirklich ein neues Blutvergießen in Ostafrika anrichten will, würdet Ihr dem Duce dann die Granaten dafür liefern?«
Betroffen wandte sich der Papst dem Benediktinermönch Di Marco zu, der auf einem geflochtenen Gartenstuhl neben ihm saß. »Stimmt das mit den Munitionsfabriken, Lorenzo?«
Der Mönch breitete die Hände aus und nickte. »Ich fürchte ja, Eure Heiligkeit.«
»Mache Er sich eine Notiz. Wir möchten das Thema bei nächster Gelegenheit erörtern.« Pius zwang sich zu einem Lächeln und versicherte seinem Gast: »Leider können Wir uns nicht um jede einzelne Beteiligung persönlich kümmern. Das pastorale Werk verschlingt Unmengen von Geld. Mussolini glaubt, er sei mit seiner in der Convenzione finanziaria zugesicherten Entschädigungszahlung enorm großzügig gewesen, aber der Verlust des Patrimonium Petri lässt sich damit bei weitem nicht aufwiegen. Manchmal ist es nicht leicht, die nötigen Finanzmittel aufzutreiben.«
David starrte den Papst sekundenlang ungläubig an. Die katholische Kirche muss darben – unfassbar! Erst das uner freuliche Gespräch mit Pacelli und nun das! Die ganze Kurie, einschließlich ihres Souveräns, schien sich da in etwas verrannt zu haben, was mit christlichen Grundprinzipien wenig oder gar nichts mehr zu tun hatte.
»Die Finanzsituation des Vatikans wage ich nicht zu beurteilen«, antwortete David zurückhaltend, um desto leidenschaftlicher hinzuzufügen: »Allerdings denke ich, die Wahrheit muss auch nicht in Palästen wohnen, um zu erstrahlen. Mit brennender Sorge erfüllt mich eher der Verlust an Menschlichkeit, die allerorten festzustellen ist.« Selbst und gerade hier. David deutete zur Peterskirche hinüber. »Dort drüben wird das Grab des Mannes verehrt, der einmal sagte: ›Mit ihrer Zügellosigkeit werden sie viele Anhänger finden, und ihretwegen wird man den Weg der Wahrheit lästern.‹ Ich wünschte, die Menschen könnten ihre kleinlichen Eifersüchteleien vergessen und einmal die Welt aus der göttlichen Perspektive betrachten.«
Nach diesen deutlichen Worten erhob sich David, um dem erwarteten Hinauswurf zuvorzukommen. Die Frage nach Pacellis Besucher würde wohl ungestellt bleiben müssen.
Zu seinem Erstaunen fiel die erwartete Schimpftirade jedoch aus. Stattdessen wurde er mit Dankesworten bedacht, was ihn nun vollends aus dem Konzept brachte.
»Gemach, gemach«, beruhigte ihn der Papst. »Er hat Uns offen Seine tiefsten Empfindungen anvertraut – mit Ausnahme von Frater Lorenzo wagt das kaum einer hier – und dafür sind Wir Ihm zu Dank verpflichtet. Es hat Uns sehr beeindruckt, dass es ausgerechnet Ihn ›mit brennender Sorge erfüllt‹, was in der Welt vor sich geht, wo Er doch einem Berufsstand angehört, der sich gewöhnlich der Oberflächlichkeit verschrieben hat. Das Gespräch war für Uns sehr bereichernd. Nochmals: Habe Er Dank dafür.«
David stand da wie ein begossener Pudel. Er hatte Prügel erwartet und Lob bekommen. »Es freut mich, dass Ihr so denkt. Ich muss Euch für die Audienz danken. Sie hat mir einige wichtige Steinchen für mein Weltmosaik geliefert.«
»Fragt sich nur, ob es die helleren oder eher die düsteren waren.« Pius lachte schon wieder. Nachtragend schien er jedenfalls nicht zu sein. »Können Wir Ihm noch einen Wunsch erfüllen?«
»Palatin«, murmelte David wie benommen. Das freundliche Hilfsangebot hatte ihn völlig überrumpelt.
»Was hat Er gesagt?«
»Äh, ich glaube, ich muss da noch etwas vorausschicken. Ich bin auf der Suche nach einem verschollenen Wissen. Es geht um… eine Verschwörergruppe aus alter Zeit. In diesem Zusammenhang erhielt ich einen Hinweis, der nur aus einem einzigen Wort besteht. Es lautet Palatin oder Palatina. Fällt Euch dazu irgendetwas ein?«
»Sehr viel sogar.«
David winkte ab. »Natürlich. Ich weiß schon. All die Bauwerke in Italien, die sich mit diesem Attribut schmücken – die Cappella Palatina in Palermo, die Porta Palatina in Turin…«
»Und die Bibliotheca Palatina«, fiel Pius ihm ins Wort.
»Meint Ihr die in Mailand oder die in Parma oder…?«
»Wir reden von der, die sich hier im Vatikan befindet.«
»Im Vatikan?« Davids Unterkiefer rutschte herab und ließ sich sekundenlang nicht wieder heben.
Es schien dem fast Fünfundsiebzigjährigen zu gefallen, dass er das junge Heißblut aus der Fassung gebracht hatte. Schmunzelnd sagte der Papst: »Wir haben während der Kriegsjahre der Vatikanischen Bibliothek als Präfekt vorgestanden. Aus
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