Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
zu gütig, Eminenz, aber darf ich Euch trotzdem noch mit einer letzten Frage belästigen?«
»Er ist uns keine Last. Frage Er nur«, antwortete der Papst.
»Als ich vorhin Kardinal Pacellis Arbeitszimmer verließ, sah ich zufällig seinen nächsten Besucher: schlank, mittelgroß, militärisch stramme Haltung, grau meliertes kurzes Haar, Schnurrbart und lange Nase. An der rechten Hand trug er übrigens einen massiven Goldring. Habt Ihr eine Ahnung, um wen es sich dabei handeln könnte?«
»Unser Kardinalstaatssekretär ist ein Mann so fleißig wie die vom weisen Salomon gelobte Ameise. Es ist Uns unmöglich, seinen Terminkalender zu überblicken«, antwortete der Papst ausweichend, wobei er Lorenzo Di Marco einen verschwörerischen Blick zuwarf.
David überspielte seine Enttäuschung mit einer respektvollen Verbeugung. »Verzeiht meine Neugierde.«
»Er wäre ein armseliger Reporter, würde Er nicht mit wachen Augen durchs Leben gehen«, antwortete Pius XI. geheimnisvoll lächelnd.
Der junge Mönch geleitete David hinaus. Der Abschied vom Papst lag erst vier Türen zurück.
»Würden Sie mir einen Gefallen tun?«, fragte David.
»Wie könnte ich Ihnen etwas abschlagen, wo doch der Heilige Vater Ihnen kaum zu widerstehen vermochte?«
»Ich hatte ja schon von dem Jesuiten erzählt. Könnten Sie mir noch einmal einen Hinterausgang zeigen?«
Der Mönch lachte. »Unsere Fratres von der Gesellschaft Jesu müssen Ihnen ja einen gehörigen Schrecken eingejagt haben. Was halten Sie von einem kleinen Rundgang durch die vatikanischen Gärten?«
»Wenn es da wie im Dom eine stille Pforte nach draußen gibt – warum nicht?«
»Dann kommen Sie.«
Eine Weile ging David schweigend an der Seite des Ordensmannes her. Sie arbeiteten sich im Palast des Papstes nach unten, traten auf einen größeren Innenhof hinaus und durchquerten ein weiteres Gebäude, möglicherweise auch mehrere, David konnte das nicht so genau feststellen. Er nahm seine Umgebung ohnehin kaum wahr. Hatte Brit etwas über eine Schriftensammlung gewusst, die nur wenigen Gelehrten zugänglich war? Pius hatte erwähnt, dass sich ein kleinerer Teil der Palatina in der Heidelberger Universität befand. Selbst wenn man kostbare Handschriften auch dort sicher nicht jedem zugänglich machte, war doch eine Hochschule per se wesentlich offener als die Vatikanischen Archive. Außerdem wurde Rom für ihn, jetzt, da der Jesuit wieder aufgetaucht war, zu einem heißen Pflaster. Verstohlen blickte David auf den jungen Mann, der da still in sich hineinlächelnd neben ihm herging. Ja, das wäre eine Möglichkeit. David glaubte das Wagnis eingehen zu können.
»Was erheitert Sie eigentlich so?«
Den Mönch schien diese Frage nur noch mehr zu amüsieren. »Ich habe mich gerade gefragt, wann Sie endlich damit herausrücken.«
»Womit?«
»Ihnen liegt doch etwas auf der Seele.«
»Kann man das so deutlich sehen?«
»Ich bin darauf trainiert. Nicht umsonst nennt man die Angehörigen unserer Zunft Seelenhirten.«
»Sie sind ein seltsamer Mann, wissen Sie das? Gar nicht wie die Geistlichen, die man sonst so trifft.«
»Ich habe diesen Lebensweg aus Überzeugung gewählt, aus dem Wunsch heraus, Menschen zu helfen – was man leider nicht vom ganzen Klerus behaupten kann.«
»Es erstaunt mich, ausgerechnet Sie, einen Angehörigen ebendieses Standes, derartig offen über ihn reden zu hören. Wenn ich über die Geschichte der katholischen Kirche nachdenke – die Kreuzzüge, die zigtausend Opfer der Inquisition, all den Prunk inmitten von so viel Armut –, dann mag das ja noch angehen, aber Sie repräsentieren diese Institution doch.«
Soeben waren sie auf einen kiesbestreuten Weg hinausgetreten. Lorenzo blieb unter einer hohen Palme stehen und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Habgier«, murmelte er.
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Sie haben zuletzt gegenüber dem Heiligen Vater den zweiten Petrusbrief zitiert, Kapitel zwei, Vers zwei. Der Text geht folgendermaßen weiter: ›In ihrer Habgier werden sie euch mit verlogenen Worten zu kaufen versuchen; aber das Gericht über sie ist schon lange am Werk und ihr Verderben schläft nicht.‹ Haben Sie diesen Teil mit Absicht weggelassen, Signor Cournot?«
David zögerte. Er wollte diesen Menschen gewissermaßen im Schnellverfahren für sich gewinnen. Wie er selbst schien Lorenzo Di Marco die Wahrheit wirklich zu lieben, aber er hatte auch seine Prägung in einem System erfahren, das diese nicht unbedingt
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