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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Richardplatz Nummer 4 keine Rücksicht.
    Noch am Abend des Einzugs wurde die erweiterte Nachbarschaft feuchtfröhlich gefeiert. Bald benutzte man nur noch die Vornamen. Allein Frieda bestand darauf, mit Fräulein Joleite angesprochen zu werden. David köpfte einige Flaschen Sekt, was selbst die Joleite zu würdigen wusste. Mia Kramer hatte sich entschuldigen lassen, sie fühle sich nicht wohl.
    »Die Kramersche kriejen Se nie ssu so was«, informierte die Joleite und tippte sich an die Stirn. »Bei der tickt’s da oben nich janz richtich.«
    Ester stellte später klar, dass die stille Künstlerwitwe unter dem viel zu frühen Verlust ihres Mannes leide und deshalb den Kontakt zu anderen scheue.
    David, dem die Kriegsgrausamkeiten nur allzu gegenwärtig waren, nickte verständnisvoll. »Ohne meine Rebekka wäre ich nur noch ein halber Mensch – vermutlich nicht einmal das.«
    Vielleicht hatte dann auch Mia Kramers trauriges Schicksal David und Rebekka dazu gebracht, sich am darauf folgenden Tag ausgerechnet den Film »Im Westen nichts Neues« anzusehen. Nach Lustspielen war ihnen wirklich nicht zu Mute gewesen. Der Streifen hatte tags zuvor Premiere gehabt und das Kino war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Obwohl der Regisseur Lewis Milestone, mit Rücksicht auf das zahlende Publikum, nicht die ganze Brutalität des Großen Krieges wieder aufleben ließ, machten die bewegenden Bilder viele im Zuschauerraum dennoch betroffen.
    David hielt während der Vorführung Rebekkas Hand. Eigentlich wollte er ihr Schutz und Rückhalt sein, sie angesichts des Schrecklichen trösten, aber irgendwann reichte sie ihm ein Spitzentaschentuch: Tränen rannen über seine Wangen.
    Plötzlich wurden die hinteren Türen des Kinosaales aufgerissen und ein vielstimmiges Grölen drang in den Raum. Rebekka schmiegte sich ängstlich an David. Er spürte ihr Zittern, während seine Augen die SA-Männer verfolgten, die mit geschwellter Brust durch die Gänge liefen und lautstark den Film als »Machwerk zur Schmähung unseres im Felde unbesiegten, heldenhaften Heeres« beschimpften.
    Der Kinobesitzer setzte seine Gesundheit aufs Spiel, als er händeringend die Eindringlinge zum Verlassen des Saales aufforderte. Einer der braunen Störenfriede – offenbar ihr Anführer – nannte ihn daraufhin einen »roten Hund«, der schon bald den Schwanz werde einziehen müssen. Als die auf den Mann niederhagelnden Schimpfworte in tätliche Gewalt umzuschlagen drohten, konnte sich David nicht mehr zurückhalten. Er entwand sich Rebekkas Griff, stand auf und rief dem SA-Häuptling zu: »Also wirklich! Wer ist denn hier ein roter Hund? Ziehen Sie sich erst mal eine andere Uniform an, bevor Sie anständige Leute beleidigen.«
    Der Film war mittlerweile angehalten worden. Zeitlich passend zu Davids Aufforderung wurde nun auch die Saalbeleuchtung eingeschaltet. Das ganze Kino brach in schallendes Gelächter aus. Zahllose Finger deuteten auf den SA-Hauptmann. Als dieser an sich herabblickte, erstarrte er. Das vordem braune Hemd, die Reithosen, selbst die Krawatte und die Hochschaftstiefel leuchteten blutrot. Spontan (und ohne Davids Zutun) passte sich die Gesichtsfarbe des Mannes dem Ton der Uniform an. Völlig konsterniert floh der Kommandant aus dem tobenden Saal. Sein nun führerloser Haufen folgte ihm hastig, wie eine Schar schlammig brauner Küken der zu schnell davonwatschelnden Entenmutter.
    »Selbst wenn du sämtliche Nazis einfärbst, wirst du damit nicht das eigentliche Problem lösen«, flüsterte Rebekka, nachdem das Licht erloschen und der Filmprojektor wieder angelaufen war.
    David schüttelte traurig den Kopf »Nein, sicher nicht, aber ich wünschte, Kardinal Pacelli hätte Recht.«
    »Womit?«
    »Er meinte, Hitler sei ein geltungssüchtiger Dilettant, und er hoffe, dem deutschen Volk werde das noch rechtzeitig bewusst.«
     
     
    Die Museumsinsel lag eingekeilt zwischen dem Hauptarm der Spree und einem Kanal mit dem schönen Namen »Kupfergraben«. Diesen überspannte eine Brücke, über die man auf den Vorplatz des noch unfertigen Pergamonmuseums gelangte. David zwang sich, langsam zu gehen. Am liebsten wäre er losgerannt wie ein ungeduldiger Schuljunge, um endlich den Altertumsforscher mit der Übersetzung der geheimnisvollen Handschrift zu konfrontieren.
    Auf dem Platz, der an drei Seiten von der Säulenfassade des Museumsneubaus umschlossen war, herrschte geschäftiges Treiben. Erfahrungsgemäß erreichte das Chaos kurz vor der Einweihung

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