Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Argentinien werden der Welt noch einmal große Überraschungen bescheren.«
»Nicht allein Peron steht auf unserer Seite. Auch in Paraguay und Brasilien warten prominente Exilanten auf die Stunde ihrer Rückkehr.«
Jetzt ist es raus! David holte tief Luft, dann meinte er verdrießlich: »Etwa Bormann, der Sekretär des Führers, den man in Abwesenheit verurteilt hat? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Wieso nicht?«
»Es heißt, er sei tot.«
»Solche Gerüchte könnten auch mit Absicht in Umlauf gebracht worden sein. Außerdem soll es Kameraden geben, die selbst den Nürnberger Advokaten durch die Finger geschlüpft sind.«
David stellte sich nachdenklich, wartete einige Sekunden und ließ sein Gesicht aufstrahlen. »Sie reden von Eichmann, nicht wahr? Man hat seine bedeutende Rolle bei der Endlösung der Judenfrage völlig unterschätzt und ihn während des Hauptkriegsverbrecherprozesses nicht einmal angeklagt.«
»Ich hasse dieses Wort.«
»Welches? Etwa ›Endlösung‹?«
»Nein, ich rede von dem so genannten ›Hauptkriegs-Verbrecherprozess‹. Man hätte das Theater besser ›Schauprozess‹ nennen sollen.«
»Ach, Sie meinen damit die Art von Vorstellung, die Freisler an seinem Volksgerichtshof zu bieten pflegte?«
Theodor Soucek blieb der sechste Marillenknödel im Halse stecken.
Die Maschine landete am Abend des 8. Mai 1954 pünktlich um 19.40 Uhr auf dem Rollfeld von Ezeiza, dem internationalen Flughafen von Buenos Aires. Mit dem Taxi ließ sich David zu einem Hotel in der Innenstadt bringen, wo er ein Zimmer reserviert hatte. Er war erschöpft von den Strapazen der Reise. Der Taxifahrer versuchte ihn in ein Gespräch zu verwickeln, aber David konnte mit dessen Spanisch nicht sehr viel anfangen; sollte sich die Suche länger hinziehen, würde er wohl als Nächstes die Landessprache lernen müssen.
Gedankenverloren blickte er aus dem Fenster. In Paris, der letzten Zwischenstation seiner Reise vor Argentinien, hatte er eine France-Soir gekauft. DIEN BIEN PHU EST TOMBE titelte das Blatt in dicken Lettern. Bei der auf beiden Seiten von langer Hand vorbereiteten Schlacht hatten die Franzosen den Kürzeren gezogen. Ihr Stützpunkt Dien Bien Phu im äußersten Norden Vietnams war den angreifenden Vietminh unter General Vo Nguyen Giap nach sechsundfünfzigtägiger Belagerung in die Hände gefallen. Was die genaue Zahl der Opfer betraf, hielt sich die französische Militärführung bedeckt. David konnte nicht umhin, die hehren Friedensworte nach Japans Kapitulation im August 1945 als blanken Hohn zu empfinden. Nur wer auf einer Insel der Glückseligen wohnte, mochte ernsthaft an diesen Frieden glauben. Der Kreis der Dämmerung wühlte unermüdlich und es wurde höchste Zeit, dieser Hydra einen weiteren Kopf abzuschlagen.
Die in Österreich gewonnenen Hinweise galt es jetzt auszuwerten. Von Simon Wiesenthal hatte David einige Namen genannt bekommen, denen er nachgehen wollte. Und Theodor Soucek, der die gefräßige SS-Krabbe Odessa mit seinen Millionen fütterte, waren ebenfalls einige aufschlussreiche Versprecher unterlaufen.
In den nächsten Tagen erkundete David die Naziszene in der argentinischen Hauptstadt. Es überraschte ihn dabei, wie einfach sich diese Sondierungen anstellen ließen. Nicht erst unter seinem Präsidenten Juan Domingo Peron hatte Argentinien eine Politik des offenen Schlagbaums verfolgt. Einwanderer, vor allem solche aus Deutschland, waren schon vor dem Zweiten Weltkrieg willkommen gewesen. Das lateinamerikanische Land hatte sich durch diese Politik in eine heikle Lage manövriert, denn vor Hitlers Überfall auf Polen hatten nicht wenige Juden in Argentinien Zuflucht gesucht, danach aber waren vor allem Nazis gekommen. Jede der beiden sich nicht gerade wohlgesinnten Gruppen baute sich ihre Schutzburgen, vornehmlich in Gestalt von Vereinigungen. Äußerlich dienten die Vereine und Organisationen kulturellen Zwecken oder der Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen, aber hinter den Kulissen wurde nicht selten ein unerbittlicher Krieg geführt.
Aufseiten der Nazis trugen diese Vereine Namen, die heimatliche Gefühle weckten: Teutonia ruderte auf dem Rio de la Plata, Austria turnte im Parque Presidente Nicolas Avellaneda und der Kameradenkreis sammelte Fotos ruhmreicher U-Boot-Schlachten. Nur die SS kochte ihr eigenes Süppchen. Ihr in dasselbige zu spucken würde für David nicht einfach werden.
Der Weg war eine Gazette der allerschlimmsten Machart,
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