Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
gewissermaßen die argentinische Variante des Völkischen Beobachters. Die Emigrantenzeitschrift quoll über vor nationalsozialistischem Gedankengut. Und gerade deshalb wollte sie David als Startpunkt für seine südamerikanischen Ermittlungen nutzen. Der Tipp stammte von Gustav Mankel, einem leidenschaftlichen Gegner des Weges. Mankel war ein gestandener Redakteur des Argentinischen Tageblattes, der ältesten deutschsprachigen Zeitung des Kontinents, die seit 1889 ein freundliches Bild von der deutschen Kultur zeichnete, ohne dabei die Farbe Braun zu verwenden. Er präparierte seinen – wie er meinte, österreichischen – Gesinnungsgenossen für den Einsatz als Undercoveragent im »feindlichen Lager«.
Mittlerweile besaß David einiges Geschick darin, die Wahrheit zu sagen und seine Widersacher darunter das verstehen zu lassen, was ihnen genehm war. Diese Taktik wandte er auch beim Weg an. Sozusagen als Pass diente ihm dabei ein Dokument, das mehr schlecht als recht in seiner Brieftasche den Krieg überstanden hatte: der Presseausweis eines gewissen Friedrich Vauser. Der Chefredakteur des Weges zeigte sich beeindruckt. Die Berliner Illustrierte Zeitung gehörte in Hitlerdeutschland zwar nicht zu den dunkelbraunen Blättern, aber da seinerzeit die Presse sowieso gleichgeschaltet war, gab es an Davids Gesinnung nichts herumzudeuteln. Er sei gerade klammheimlich aus Österreich nach Argentinien gekommen, erklärte dieser völlig wahrheitsgemäß, wenn auch in einer für den Chefredakteur arg missverständlichen Weise. Ob es für ihn nicht eine berufliche Zukunft beim Weg gebe?
An einer freien Mitarbeit sei er durchaus interessiert, erwiderte der Hauptschriftleiter zackig. Über was der Kamerad denn zu schreiben gedenke? Die deutsche Kultur habe es ihm angetan, antwortete David, weil er insgeheim hoffte, sich auf diesem Gebiet am wenigsten verrenken zu müssen, falls je ein Manuskript verlangt wurde. Der Chefredakteur wirkte ein wenig enttäuscht. Ein Propagandaspezialist wäre ihm vermutlich lieber gewesen. Aber schließlich akzeptierte er den neuen Journalisten doch. Wann eigentlich die nächste Veranstaltung des Dürerkreises stattfinde, erkundigte sich David beiläufig, Theodor Soucek habe ihm die Kulturvereinigung empfohlen. Der Name des Grazer Industriellen zeigte schnell Wirkung. Binnen weniger Minuten bekam David ein Schriftstück in die Hand gedrückt, seine Legitimation als Weg-Gesandter. Der Dürerkreis veranstalte in zwei Tagen eine Dichterlesung, wurde ihm mitgeteilt, daran könne er sich beweisen. Liefere er in den nächsten Wochen einige brauchbare Berichte ab, werde er als Kulturredakteur angestellt. Bis dahin müsse er sich mit der Rolle eines Volontärs begnügen. Ob er damit einverstanden sei?
David war es.
Die nächsten zwei Tage heftete er Briefe und Berichte, Aktennotizen und amtliche Formulare ab und er las und las und las… Er war neu, also fiel es nicht auf, wenn er sich die Schriftstücke etwas genauer besah. Einmal mehr staunte er, wie schnell ihm andere Menschen ihr Vertrauen schenkten, und litt deshalb fast unter einem schlechten Gewissen. Dann rief er sich aber wieder in Erinnerung, wes Geistes Kind Der Weg war, und die Verstellung fiel ihm leichter. Wenn denn der Kranich, von dem Theodor Soucek gesprochen hatte, je nach Deutschland zurückkehren sollte, hatte er dies in nicht geringem Maße braunen Schmierblättern wie dem Weg zu verdanken.
Die Redaktion befand sich in einem Raum von sieben mal zehn Metern. Die meisten Kollegen waren erstaunlich nett zu dem Volontär. Der Weg hätte ein Journal für Wanderfreunde sein können. Während David sein Gedächtnis bei der Registraturarbeit mit Namen, Daten und Orten fütterte, beobachtete er nebenbei seine neuen Kollegen. Gab es da jemanden, der ein wenig labil wirkte, vielleicht einen Redakteur, der seiner einschmeichelnden Gabe erliegen würde? Ja, der Erwählte hieß Willem Sassen.
Der Journalist und Amateurschauspieler war ein von der Justiz gesuchter Nazi. David erschrak, mit welcher Offenheit ihm der Kollege dieses Detail seiner Biografie anvertraute. Am nächsten Abend saßen sie zusammen bei einem blutigen Lomito-Steak und David hatte vor und nach dem Essen ausreichend Gelegenheit, in den düsteren Charakter des blonden Belgiers vorzudringen. Ihn zu durchschauen bedurfte keines Psychologiestudiums. Sassen war eitel Er liebte die Selbstinszenierung. Als Mime spiele er im Dürerkreis eine tragende Rolle, erklärte er David mit vor
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