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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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wohnten Adolf Eichmanns Eltern. Naturgemäß begegneten Karl Adolf und seine Frau Maria Fremden mit Misstrauen. Immer wieder kamen Sensationsreporter und fragten nach der »Bestie«, ihrem mit zweifelhaftem Ruhm behafteten Sprössling. Gewöhnlich verlangten sie nach Familienfotos, die einen kleinen Teufel auf einem Schaukelpferd oder einen windelbepackten giftgrünen Schnullerdämon bäuchlings auf einer Schmusedecke zeigten. Derartiges besaßen die geplagten Eltern nicht und vom Verbleib ihres von der Welt so missverstandenen Filius wollten sie auch nichts wissen. Alles, was der Wahrheitsfinder ihnen entlocken konnte, war die unbedachte Äußerung, der Sohn habe seinen Frieden an fernen Gestaden gefunden, wo der Glaube an die großen Visionen des Führers ungebrochen sei. Danach landete David auf der Straße.
    Wohlgemut reiste er von Linz nach Gmunden, wo Wiesenthal die Zentrale der Naziuntergrundbewegung Spinne vermutete. Gruppierungen wie diese seien die »Stielaugen von Odessa«, hatte der Jude bildhaft erklärt. Die Spinne jedoch stellte sich tot. Unverrichteter Dinge nahm David die nächste Etappe in Angriff: Graz.
    Hier war eine andere Vereinigung in Erscheinung getreten, die unter dem Namen Sechsgestirn firmierte. In einem Café am Karmeliterplatz, zwischen Burggarten und Schlossberg, traf David einen Mann, den Wiesenthal als zwielichtige Gestalt bezeichnet hatte. Der so Beschriebene hieß Theodor Soucek und wurde, zumindest äußerlich, durchaus seiner Charakterisierung gerecht: ein Gesicht voller Schmisse, das Haar vor Pomade triefend, die dunkelblaue Anzugweste mit den breiten Nadelstreifen über dem Kugelbauch prall gespannt und eine knarrende, befehlsgewohnte Stimme – kurz, eine ekelhafte Erscheinung. Gleichwohl galt Soucek als Mann von Einfluss und Ansehen. Er mochte zwar nicht über versunkene Gold-U-Boote verfügen, als Industrieller aber hatte er genügend Geld, um Gruppierungen wie die Spinne und das Sechsgestirn am Leben zu erhalten, ja, deren Aktivitäten möglicherweise sogar koordinieren zu können. Wenn dem so war, dann gehörte Soucek womöglich zu den Schlüsselpersonen von Odessa.
    David stellte sich als Reporter vor, der über Souceks Unternehmen einen Artikel verfassen wolle. In ungezwungener Atmosphäre – der alte Nazi hatte sich sechs Marillenknödel und eine Melange mit Schlag bestellt, David begnügte sich mit einem Türkischen – kam man schnell auf die Vergangenheit zu sprechen. Geschickt brachte David den Industriellen zum Schwadronieren, Soucek sehnte sich nach »der guten alten Zeit« zurück – er meinte damit Hitlers Tausendjähriges Reich – und bedauerte zutiefst die »Verkommenheit und Dekadenz des bolschewistischen Judentums«, das allenthalben wieder um sich greife. Bei so viel braunem Gerede fiel es David schwer, die Rolle des sympathisierenden Zuhörers zu spielen. Auf einem schmalen Grat zwischen Wahrheit und Lüge wandelnd entlockte er dem Alt-Nazi weitere Unbesonnenheiten.
    »Der Vergangenheit nachzutrauern ist leider selten besonders produktiv. Die einstige Größe des Deutschen Reiches kann wohl allein durch das Singen strammer Lieder an Sonnenwendfeuern und das Sammeln von Stahlhelmen und Eisernen Kreuzen nicht zurückgebracht werden.« David seufzte und fühlte sich schlecht dabei.
    »Sie sprechen die Wahrheit«, bellte Soucek. »Aber unterschätzen Sie die Kraft des Nationalsozialismus nicht.«
    »Die Nachkriegsjugend denkt doch nur ans Vergnügen. Und die alten Vorkämpfer der Bewegung sind alle tot.«
    »Wer weiß, vielleicht haben ja einige von ihnen überlebt.«
    David spitzte die Ohren und mimte jetzt den Resignierten. »Wer denn? Etwa Hess, dieser Schwächling, der mit den Engländern paktieren wollte? Oder von Papen, den selbst die Richter des Militärtribunals für zu unwichtig hielten? Der eine sitzt streng bewacht in Berlin ein und der andere ist vermutlich längst verrottet.«
    »Seien Sie nicht so pessimistisch«, donnerte Soucek. »Ich bin sicher, Papen lebt. Aber er ist nur ein kleiner Fisch. Es gibt andere. Kürzlich habe ich in Buenos Aires an einem Treffen des Dürerkreises teilgenommen. Rudel war anwesend – na, Sie wissen schon: das Fliegerass. Er berichtete über die Kameradschaftsrunden und was sich dort so tut. Großartig, sage ich Ihnen! Unsere heilige Bewegung ist nicht gestorben, sondern nur wie ein stolzer Kranich ins Winterquartier gezogen.«
    David erschauerte, während er zugleich den Wissenden gab. »Keine Frage: Länder wie

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