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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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steckte den Siegelring in die Tasche.
    Jetzt nichts wie weg von hier. Fragt sich bloß, wohin? Kaum war der Gedanke gedacht, gab es für David auch schon die nächste Überraschung: Wie aus dem Nichts war plötzlich ein höchstens einen Meter sechzig großer Indio aufgetaucht. Der nur mit einer Art Stoffwindel bekleidete kleine Mann legte sich den Finger auf die Lippen.
    Nach kurzem Zögern nickte David erstaunt. Ich bin stumm wie ein Fisch.
    Dann deutete der Indio das Bachbett hinab.
    David nickte abermals und flüsterte: »Ich folge dir.«

 
    Fata Morgana
     
     
     
    Tabasco verfügte über scharfe Sinne. Er konnte riechen wie ein Jaguar und sehen wie ein Königsgeier. Das Sprechen funktionierte bei Tabasco weniger gut. Er besaß keine Zunge mehr.
    »Und du meinst wirklich, Don Alfonso hat dir das angetan?« David kauerte auf einer Waldlichtung vor dem kleinen Indio und beschirmte die Augen mit der Hand, weil die Morgensonne immer wieder durch das vom Wind bewegte Blattwerk stach, ihm direkt ins Gesicht. Sein Oberschenkel schmerzte kaum noch. Der Waldmann hatte die Wunde fachmännisch gesäubert, mit Heilkräutern abgedeckt und verbunden.
    Tabasco nickte. Er verstand Spanisch wie Englisch gleich gut. Mit der flachen Hand zeigte er erst auf seine Brust, dann hielt er sie ungefähr zwanzig Zentimeter über den Boden.
    »Ich verstehe«, sagte David und konnte seine Betroffenheit nicht verbergen. »Als du noch ganz klein warst, ließ er dir die Zunge herausschneiden. Später bist du ihm dann davongelaufen. Heute Nacht haben Barrios’ Männer wie die Tiere geheult. Hat er sich viele stumme Diener zurechtgestutzt?«
    Tabasco nickte und klopfte etliche Male auf den Boden.
    »Hm, hm. Sehr viele also. Wie kommt es, dass du nicht auch taub bist wie seine Tischdiener?«
    Diese doppelte Verstümmelung werde nur jenen zugefügt, die in Don Alfonsos engster Umgebung dienen, erklärte Tabasco mit flinken Fingern.
    David schüttelte angewidert den Kopf. »Diese Bestie hat ihr Ende wirklich verdient.«
    Ehe er sich’s versah, hatte sich der kleine Indio neben ihm aufgerichtet und klopfte ihm nun freundschaftlich auf die Schulter. Die Geste sprach für sich. Tabasco bedankte sich bei dem Rächer im Namen all jener armen Leidensgenossen, deren Leben Barrios zerstört hatte.
    David meinte, dass eigentlich er seinem Retter danken müsse. Tabasco hatte ihn aus dem Feuergefecht herausgelotst, ihn zeitweilig sogar gestützt und schließlich in einer Höhle aus dichtem Buschwerk verarztet. Auf einem Bett aus trockenen, aromatisch duftenden Blättern war er schließlich erschöpft in einen traumlosen Schlaf gesunken. Zur Frühstückszeit hatte ihn dann ein verlockender Bratenduft geweckt. Als er wenig später das wohlschmeckende Fleisch kostete und von seinem stummen Gastgeber erfahren wollte, von welchem Tier es stammte, bestand die Antwort in einer pantomimischen Meisterleistung.
    »Faultier?«
    Tabasco nickte freudestrahlend.
    »Wie gut, dass du mich erst hast essen lassen.«
    Mit Grauen erinnerte sich David an die sonderbare Tätowierung auf der abgetrennten Hand seines vierten Gegners im Palast des Jaguars. Auch Tabasco besaß eine solche Kennzeichnung. Durch sie hatte David erst den Namen seines neuen Freundes erfahren. Don Alfonso pflegte seine »Sklaven« auf diese Weise als sein persönliches Eigentum zu markieren, erklärte der Indio gestenreich. Er verdankte seinen Namen übrigens nicht, wie man meinen konnte, einer feuerscharfen Würzsoße, sondern jenem mexikanischen Bundesstaat, in dem nicht nur die Mayas beheimatet waren, sondern auch Tabasco.
    Auf Davids Frage, wer die Gegenpartei in dem nächtlichen Scharmützel gewesen sei, konnte sein kleiner Retter nur eine unklare Auskunft geben: »Männer von der Regierung und doch nicht von der Regierung«, musste wohl die Übersetzung von Tabascos Gebärdensprache lauten. David ahnte schon, wes Geistes Kind seine schießfreudigen Lebensretter waren. In Mittel- und Südamerika gehörten Umstürze zur Tagesordnung. Vielleicht war er in der letzten Nacht der neuen Revolutionsarmee Guatemalas begegnet.
    »Kannst du mich zur nächsten Siedlung bringen?«, erkundigte er sich. Barrios der Jüngere hatte erwähnt, einige Frischwaren würden auch über Dschungelpfade transportiert. Es konnte also nicht weit bis zum nächsten Marktflecken sein.
    Tabasco drehte den Kopf und schob die Schulter vor und zurück, was wohl »Ja, aber lieber nicht« heißen sollte.
    »Fürchtest du dich vor den

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