Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
und gab dem Kellner ein Zeichen. Er lächelte. »Der Schnaps kommt sofort.«
Ugo Buitoni gab sich für den Rest des Abends sehr konspirativ. Während er die Verdunstung des Branntweines bekämpfte (David musste hin und wieder ein Gläschen mittrinken), erzählte er von einem mysteriösen »Heiligen«, der sich wie kein Zweiter im Labyrinth des Vatikans auskenne. Unter gewissen Umständen sei dieser Mann, dessen Namen er nicht nennen könne, bereit seine Unterstützung zu gewähren. David fürchtete nun schon die Forderung größerer Geldbeträge, wurde aber erneut überrascht. Der Alte bat sich nur drei Tage Zeit aus. Er wolle mit dem »Heiligen« in Verbindung treten und sehen, was sich machen lasse.
Die dreitägige Wartezeit wurde von David mit weiteren Recherchen ausgefüllt. Das brachte nicht viel, aber es lenkte ihn wenigstens ab, denn er fieberte dem Treffen mit dem »Heiligen« förmlich entgegen. Immer wieder fragte er sich, ob dieser Unbekannte vielleicht sein spielkartenbesessener Freund war…
Am Abend des dritten Tages schließlich suchte er wieder Mario in Trastevere auf, wo Ugo Buitoni eine weitere Kostprobe seiner Schauspielkunst gab. Nach einem viergängigen Menü, für das David vorsorglich versprochen hatte die Kosten zu übernehmen, wurde Grappa bestellt. Der Liegenschaftsbeamte lobte zwar des Tresterbranntweins ausgezeichnete Qualität, aber da David von jeher ein sehr bescheidener Alkoholkonsument war, kam bei ihm keine rechte Freude auf. Voller Ungeduld starrte er auf den alten Strazzenkonservator, der genüsslich den öligen Schnaps die Kehle hinunterlaufen ließ. David fürchtete schon eine weitere Vertagung wegen alkoholbedingter Unzurechnungsfähigkeit, aber Ugo Buitoni erwies sich als trinkfest. Irgendwann zwischen dem vorletzten und letzten Viertel der Flasche sagte er mit schwerer Zunge: »Morgen um zwölf Uhr mittags. Der Heilige erwartet Sie in San Clemente. Sie wissen, wo das ist?«
David nickte ergriffen. »Die Basilica in Celio.«
»Dann sind Sie ja auch mit der unheiligen Geschichte dieses Ortes vertraut.«
»Unheilig? Soweit mir bekannt, handelt es sich bei San Clemente um eine katholische Kirche.«
»Dort gibt es mehr als nur eine Anbetungsstätte. Mindestens drei sind da übereinander gebaut und«, Ugo Buitoni bekreuzigte sich, »die unterste ist ein Heidentempel. Er war dem persischen Gott Mithras geweiht.«
»Und wo will mich der Heilige nun genau treffen?«
»Er erwartet Sie im Mithräum. Ganz unten.«
Allmählich ging David die Geheimniskrämerei des Kladdenhüters auf die Nerven. Er nickte. »Ich werde da sein. Und nun entschuldigen Sie mich bitte.«
Ugo Buitoni hielt ihn mit eisernem Griff am Unterarm zurück. »Noch etwas.«
»Ja?«
»Seien Sie unbedingt pünktlich!«
Vielleicht war es eine Falle. Weshalb tat dieser »Heilige« so geheimnisvoll? Warum dieses merkwürdige Theater mit dem Mithräum? Gerade Letzteres gefiel David überhaupt nicht. Wie sich in einer nahen Bibliothek nach einer schlaflosen Nacht schnell feststellen ließ, war Mithras der persische Gott des Lichts. Es hieß, er sei aus Fels geboren, wie Flammen aus Feuerstein entstehen. Unwillkürlich wurde David an seine Studien der Lurianischen Kabbala erinnert und musste an jene kosmische Katastrophe denken, in deren Verlauf die Gefäße des göttlichen Lichtes zersplittert worden waren und die entwichenen Funken in die Scherben des Kelippoth, des Bösen, eingeschlossen wurden. War es dieses Böse, das ihn dort erwartete?
Mit gemischten Gefühlen fuhr er am späten Vormittag in den Stadtteil Celio. Das Taxi umrundete, von Colonna kommend, das Kolosseum, führ die Via San Giovanni in Laterano hinab und hielt kurze Zeit später vor der Basilika. Er bezahlte den Fahrer und stand unschlüssig vor der Barockfassade. Noch konnte er umkehren und dieses seltsame Treffen platzen lassen. Hinter ihm knatterten Motorroller und dreirädrige Kleinlastwagen über die Straße. Es war ein geschäftiger Montagmorgen – der 22. September, um genau zu sein. David warf resignierend die Arme in die Luft und betrat das Gotteshaus.
Die Oberkirche war wesentlich älter, als es ihr Äußeres vermuten ließ: Sie stammte aus dem zwölften Jahrhundert, das Ziborium sogar aus dem sechsten. Das mittelalterliche Kirchenschiff war leer. Um diese Tageszeit schien niemand Zeit für Gebete zu haben. David schritt einen Seitengang entlang, vorbei an Säulen aus weißem Marmor und Granit. Für die Holzverkleidung der
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