Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Decke und die bunten Mosaike hatte er kein Auge. Er suchte die Sakristei.
Bald hatte er den Raum und die Treppe gefunden, ebenso wie einen Lichtschalter. Langsam stieg David in die Vergangenheit hinab, in das vierte Jahrhundert nach Christus. Die Dunkelheit sowie die dumpfe Luft in der Unterkirche drückten auf sein Gemüt. Von irgendwoher kam ein sonderbares Rauschen, das er sich nicht erklären konnte. Das versunkene Gotteshaus war erfüllt von einer Aura uralter Geheimnisse. Ähnlich musste sich auch der Dominikaner Joseph Mullooly gefühlt haben, als er sich hier 1857 durch Schutt und Geröll zu ungeahnten Schätzen vorgrub. Aber weder Gold noch Juwelen erwarteten den Prior in der Unterkirche, sondern die lebendigen Zeugnisse einer längst vergessenen Zeit: byzantinische Mosaike, ein römischer Sarkophag und Fresken teils burlesken Themas – einige von Gott geblendete Häscher versuchten doch tatsächlich eine gefesselte Säule abzuführen. David fand sich leicht zurecht. Bald hatte er an der Rückwand eine schmale Treppe entdeckt, die weiter hinab in die Tiefe führte.
Es war eine Sache zu lesen, was einen dort unten erwartete, jedoch eine ganz andere, es selbst zu erleben. Alles kam ihm unwirklich vor, als sei er in eine fremde, mystische Welt hinabgestiegen. Dieses merkwürdige Rauschen, das nun deutlicher an sein Ohr drang, machte die Sache nur noch geheimnisvoller. War das Wasser? Vielleicht ein unterirdischer Flusslauf? David nahm einen tiefen Atemzug muffiger Luft und trat in einen kleinen Raum.
Das niedrige Gelass hatte wenig zu bieten, eigentlich gar nichts bis auf den gegenüberliegenden Ausgang. Nach zwei weiteren Räumen stand er vor einem Flur mit engen Tuffsteinwänden. David drang tiefer in das Labyrinth aus dunklen und mit Schimmel überzogenen Kammern, Tunneln und Nischen ein. Mehrere Gebäude aus dem ersten Jahrhundert lagen hier unten begraben wie die Gebeine von Märtyrern. Ein durchaus angemessener Vergleich, waren doch noch immer Spuren von einer verheerenden Feuersbrunst zu finden, dem Brand von Rom, Kaiser Neros wohl bekanntester Untat. Über unebenes Pflaster und zwischen den Wänden uralter Bauwerke hindurch kämpfte sich David weiter voran. Er besaß nur eine ungefähre Vorstellung davon, wo das Mithräum lag.
Endlich hatte er es gefunden. Ein lang gestreckter Raum wurde von einem niedrigen Tonnengewölbe überspannt, an dessen Decke man noch einige Sterne erkennen konnte, ein Hinweis auf den Mithraskult. An den Längswänden befanden sich steinerne Bänke, dazwischen erhob sich in der Mitte ein staubbedeckter breiter Marmorsockel, vermutlich ein Altar. Nur wer den sieben Initiationsstufen gewachsen war, durfte in dieser von Menschenhand geschaffenen Grotte Platz nehmen und an der symbolhaften Stieropferung sowie dem sich anschließenden rituellen Mahl teilhaben.
Im Moment hatte David den unheimlichen Ort ganz für sich allein. Er blickte auf seine Armbanduhr. Sieben Minuten vor zwölf. Er war überpünktlich. Der avisierte »Heilige« sollte erst mittags erscheinen. David stöhnte leise, atmete die schwere Luft, lauschte auf das unheimliche Plätschern, sah sich unbehaglich um. Was mochte dieses enge Gewölbe schon alles erlebt haben? Die notdürftige Beleuchtung sorgte eher für Schatten denn Helligkeit. Die Mithrasfigur an dem Altarsockel wirkte auf seltsame Weise lebendig. Der Gott ging gerade seinem Gewerbe nach: dem Abschlachten von Stieren. Hatte er sich nicht eben bewegt? David schüttelte ärgerlich den Kopf. Nur ein Trugbild. Wann kommt dieser Heilige endlich?
An der Rückseite des Mithräums entdeckte er eine Nische. Langsam ging er darauf zu, eine kleine Statue hatte seine Neugier geweckt. Mit offenem Mund betrachtete David die weiße Figur. Der Gott war nackt, stand aber, soweit man das erkennen konnte, mit den Füßen in einem lodernden Feuer. Der aus dem göttlichen Licht Geborene. David fröstelte. Im nächsten Augenblick erlosch die Beleuchtung.
Unwillkürlich duckte er sich. Aber da gab es keine unsichtbaren Armbrüste, die Bolzen auf ihn abschossen, keine giftigen Reptilien, die plötzlich über den Boden schlängelten. Er befand sich ja nicht in einer drittklassigen Abenteuergeschichte. Dies war die Wirklichkeit. Flach atmend lauschte er in die Finsternis hinein. Alles, was er hörte, war dieses nervtötende Rauschen.
Er überlegte, was er nun tun sollte. Würde er ohne ein Fünkchen Licht wieder hinausfinden? Sollte er sich durch lautes Schreien bemerkbar
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