Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
regelrecht zu verhöhnen. Wohl oder übel musste er sich also mit einer Strategie der kleinen Schritte bescheiden.
Wenn daher der eine oder andere doch auf seine Mahnungen hörte, buchte er das schon als Erfolg für sich. Franz von Papen mochte sich geärgert haben, als ihm die Militärbefehlshaber der britischen und französischen Zone die Einreise verweigerten. Zweifellos war er am Boden zerschmettert, als ihn Anton Pfeiffer vor die Nürnberger Spruchkammer brachte, die ihn erfreulich schnell zu acht Jahren Arbeitslager verurteilte.
Wieder ein lädiertes Kettenglied, sagte sich David und verließ Deutschland in Richtung Paris. Er hatte die Suche nach seiner Schwiegermutter Marie Rosenbaum schon viel zu lange verschleppt, wohl weil er die Antwort auf seine Fragen fürchtete. Das Haus Nummer vierzehn am Quai d’Orleans sah noch genauso aus wie vor dem Krieg. Aber die ersten beiden Stockwerke befanden sich nun fest im Griff eines Rechtsanwalts. M. Apollinaire hatte während der deutschen Besetzung mit dem französischen Widerstand zusammengearbeitet und sich diese Unterstützung von der Resistance mit Maries Praxisräumen und ihrer Wohnung vergolden lassen. Er behauptete von der Vormieterin nichts zu wissen.
Schließlich gelang es David aber doch, eine ehemalige Nachbarin von Rebekkas Mutter ausfindig zu machen, die ihm einiges vom Einmarsch der Deutschen in Paris erzählen konnte. Marie hatte sich bis zum Schluss geweigert, ihre Patientinnen im Stich zu lassen. Als die französische Hauptstadt Mitte 1940 in Hitlers Hände fiel, erklärte sich die jüdische Ärztin schließlich doch bereit unterzutauchen. Im Juli war sie zuletzt von einer Patientin gesehen worden, die David unter Tränen von den Demütigungen der Nazis berichtete. Danach verlor sich Marie Rosenbaums Spur.
Davids Vermögen war längst wie Schnee in der Sonne dahingeschmolzen. Daher bestritt er schon seit geraumer Zeit einen nicht unwesentlichen Teil seines Unterhalts durch die Reportagen für das Time-Magazin. Henry Luce hatte ihn nicht lange bitten müssen, denn – abgesehen vom Geld – konnte David im Rahmen der journalistischen Tätigkeit auch noch ein anderes Anliegen in Angriff nehmen. Vor dem Krieg war er Stamm und Wurzel eines blühenden »Baumes« Gleichgesinnter gewesen, die ihn in seiner Jagd nach dem Kreis der Dämmerung unterstützt hatten. Die feinsten Verästelungen besaß seine Bruderschaft damals in Deutschland, aber auch in Italien, Frankreich und auf den Britischen Inseln gab es wertvolle Helfer. Während der Wirren des Zweiten Weltkrieges hatte Belial in diesem weit verzweigten Astwerk wie ein schwerer Sturm gewütet. Einige Zweige waren buchstäblich abgestorben.
Während David nun zwischen den großen Metropolen Europas hin und her pendelte, versuchte er neues Leben in seine Bruderschaft zu bringen. Bei seiner verdeckt geführten Recherche erfuhr er manch Betrübliches. Professor Giovanni Leopardi war in Mailand einem Herzanfall erlegen, als die Nazis ihn festnehmen wollten. Den Priester Markus Stangerl hatten Hitlers Schergen in einem Konzentrationslager ermordet. Dasselbe Schicksal schien auch all den alten Nachbarn vom Haus am Berliner Richardplatz widerfahren zu sein. Und Ferdinand Klotz, der David auf der Suche nach Johannes Nogielskys Mutter unterstützt hatte…
In sein Ressort als Time-Auslandskorrespondent fielen auch die Tagungen der im Juni 1946 begründeten Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. Dieses Gremium hatte den Auftrag erhalten, einen Kodex mit den Rechten eines jeden Erdenbürgers auszuarbeiten. Im Januar 1947 lernte David in London eine hoch gewachsene sympathische ältere Dame kennen, die den achtzehn aus aller Herren Länder stammenden Mitgliedern der Kommission vorstand: Eleanor Roosevelt. Die selbstbewusste und doch geduldige Witwe des verstorbenen amerikanischen Präsidenten machte aus einem streitsüchtigen Männerklub eine produktive Zweckgemeinschaft.
Am 1. Dezember 1947 traf David erneut die würdevolle Lady und sie begrüßten sich wie alte Freunde. Ort ihres Wiedersehens war Genf, die Menschenrechtskommission sollte noch am selben Tag hier zusammenkommen. Daraus wurde allerdings nichts. Wegen eines Sturmes auf dem Genfer See trafen etliche der Delegierten erst spät am Abend ein.
David nutzte die Gelegenheit für ein längeres Gespräch mit Lady Eleanor und berichtete ihr in verblümten Worten von seinem »Kampf gegen Kräfte, die das friedliche Zusammenleben der Menschen
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