Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
unserer Entscheidung, nach Amritsar zu reisen, könnten wir buchstäblich ins Schwarze treffen.«
»Du solltest Guru Nanak nicht unrecht tun, Sahib.«
»Keine Angst, Balu. Sorge nur dafür, dass er mich empfängt. Die Sikhs sind für mich nicht besser oder schlechter als andere Menschen und gerade deshalb halte ich sie für genauso leicht verführbar.«
»Da wird es nur eine Schwierigkeit geben, Sahib.«
David runzelte die Stirn. »Probleme sind dazu da, überwunden zu werden.«
Balu grinste schief. »Als Guru Nanak das Beste des Hinduismus mit dem Besten des Islam verschmolz, waren wir beide noch nicht geboren. Er ist schon seit über vierhundert Jahren tot.«
»Oh, dann wird es wohl ziemlich schwierig werden, ihn zur Mithilfe zu überreden.«
»Ich nehme den blauen.«
»Eine gute Wahl, Sahib. Der blaue Turban steht bei den Sikhs für einen Sinn, umfassend wie der Himmel und ohne Vorurteile.«
»Ich fürchte, man wird mir trotzdem nicht abnehmen, dass ich ein Sikh bin.«
David betrachtete sich im Spiegel. Er trug – passend zu seinem schneeweißen Barthaar – Hosen, eine Tunika und eine Weste aus naturbelassenem Baumwollstoff. Der Turban allerdings stach ins Auge. Dessen Stoff sei mit afghanischem Ultramarin gefärbt, einem Pigment doppelt so kostbar wie Gold, schwärmte Balu.
»Überlass das Reden einfach mir, Sahib. Dann wird schon nichts geschehen. Aber jetzt nimm endlich den Handspiegel und kontrolliere noch einmal alle sichtbaren Hautstellen. Ich finde, dein Hals sieht irgendwie scheckig aus.«
Etwas unwillig inspizierte David die reklamierten Körperregionen. Am Hals entdeckte er tatsächlich noch einen hellen Fleck. Kurz konzentrierte er sich und schon färbte sich die verräterische Stelle braun. Seine europäischen Gesichtszüge allerdings ließen sich auch kraft Farbgebung nicht verändern. Missmutig brummte er: »Ich verstehe überhaupt nicht, warum dieser Sikh-Meister uns nicht hier im Hotel Mohan treffen kann oder irgendwo anders in Amritsar.«
»Zangh Singh? Diese Stadt ist sein Revier und er bestimmt die Spielregeln.«
»Trotzdem riecht die Einladung in den Goldenen Tempel für mich verdächtig nach einer Falle.«
Balu ging noch einmal um David herum und prüfte, ob er nun an allen Stellen gleichmäßig braun war, erst dann antwortete er: »Ich glaube, er will deine Entschlossenheit auf die Probe stellen, Sahib.«
»Soweit ich weiß, verschanzen sich die Sikhs mit Vorliebe in ihren prächtigen weißen Anbetungsstätten, den Gurdwaras, und schießen auf alles, was sich bewegt.«
»Das ist ein Gerücht. Sie zielen hauptsächlich auf Moslems.«
»Das beruhigt mich ungemein. Soll ich nicht doch lieber den weißen Turban eines frommen Mannes nehmen?«
»Bist du das denn, Sahib?«
»Alter Besserwisser! Ich bleibe bei Blau. So kann ich bei dieser absurden Maskerade wenigstens mein Gesicht wahren.« David zog unwillig den Kopf zurück, weil Balu wie ein unzufriedener Coiffeur daran herumzupfte.
»Bist du endlich fertig?«
»Ja, Sahib.«
»Na, dann los.«
Die Frühlingstemperaturen waren angenehm, das Gedränge auf Amritsars Straßen weniger. Immer wieder kreuzten klapprige Zweiräder in halsbrecherischer Fahrt die Bahn der Rikscha, die David und Balu zum Goldenen Tempel bringen sollte. Antriebs- und Steuereinheit des dreirädrigen Fahrradtaxis stellte ein kleiner Sikh dar, der – in Erinnerung an das britische Massaker von 1919 – einen schwarzen Turban trug und mit seiner hellen, aber dafür umso lauteren Stimme die Straße vor ihnen leer fegte.
»Ich hätte nie gedacht, dass ein einzelnes menschliches Wesen einen derart unbeschreiblichen Radau machen kann«, staunte David.
Balu lächelte. »Die Briten sind sich doch nur zu fein, ihre Stimme über ein gedämpftes Näseln zu erheben. Dafür haben ihre noblen Limousinen erstaunlich laute Hörner.«
»Da hast du auch wieder Recht.«
»Dort drüben ist übrigens Sri Hari Mandir Sahib.«
David blinzelte. »Muss ich den kennen?«
Jetzt lachte Balu. »Es stimmt, Sahib, ohne mich wärst du in diesem Land hilflos wie ein Neugeborenes. Dir dürfte Sri Hari Mandir Sahib unter dem Namen ›Goldener Tempel‹ besser bekannt sein.«
Blinzelnd blickte David in die von Balu angezeigte Richtung. Unweit glitzerten in der Februarsonne spitz auslaufende goldene Kuppeln. Viel mehr war noch nicht zu sehen, weil ein langes weißes Gebäude den Blick auf das Heiligtum verstellte. »Mir kommt es vor, als läge der Schrein tiefer als die
Weitere Kostenlose Bücher