Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
schweren Last trägt. Es sollte mich nicht wundern, wenn seine größte Unreinheit von innerlicher Art ist.«
»Womöglich rührt sie von einer abscheulichen Tat her, die er sich selbst nicht verzeihen kann?«
Meister Zangh Singh nickte. Doch ehe er noch etwas erwidern konnte, platzte Ranjit Pasi herein, drohte unter dem zornigen Auge seines Herrn fast das Gleichgewicht zu verlieren und schrie: »Meister, da sind Männer, Sikhs. Sie tragen Säbel und Gewehre. Sie wollten Hari Mandir betreten, aber der Wächter des heiligen Beckens verwehrte es ihnen, ganz wie Ihr befohlen habt. Nach einer längeren Auseinandersetzung haben sie ihn einfach niedergeschlagen und kommen jetzt über die Brücke.«
Meister Zangh Singh, David und Balu wechselten schnelle Blicke. Dann war jedem klar, die ungebetenen Besucher kamen weder auf Einladung der einen noch der anderen Partei.
»Ich müsste mich schon sehr täuschen, wenn diese Männer nicht unter dem Befehl unseres großen Unbekannten stünden. Gibt es noch einen anderen Weg hinaus?«, fragte David.
»Die Brücke ist der einzige Zugang«, antworteten Balu, Singh und Pasi wie aus einem Munde.
David überlegte nur einen kurzen Augenblick, dann begannen seine Augen zu leuchten und ein grimmiges Lächeln huschte über seinen Mund. »Balu, du sagtest vorhin etwas über Hari Mandirs Offenheit für jedermann. Ehrenwerter Singh, ist das Tor auf der von der Brücke abgewandten Seite unverschlossen?«
»Ja, genau wie vorgeschrieben.«
»Pasi, führen Sie uns sofort hin.« David hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Halb schob er den Leibdiener des Sikh-Meisters, halb wurde er gezogen.
»Aber dort befindet sich nur das Nektarbecken«, bemerkte der runde kleine Mann erstaunt. »Wollt Ihr etwa über das Wasser wandeln wie der Prophet Jesus?«
»Es käme auf einen Versuch an.«
Der Diener starrte David an, als wäre dieser komplett verrückt geworden.
»Das Becken ist wirklich zu tief, um einfach hindurchzuwaten«, gab Meister Zangh Singh zu bedenken. Er und Balu hatten mit ihren Krückstöcken Probleme, Schritt zu halten.
»Bitte, bei allem Respekt, überlassen Sie das mir. Bevor ich mich verabschieden muss, habe ich nur noch eine Frage.«
Ein Schuss fiel und hallte durch das ummauerte Areal. Von der anderen Seite des Goldenen Tempels her ertönten laute Stimmen. Noch hielten Singhs Gefolgsleute die schmale Eingangstür.
»Keine Zeit mehr, Mr Pratt. Wenn diese Verräter hinter Ihren Plan kommen, werden sie um das Gebäude herumlaufen und jeden Moment hier sein. Sie müssen sofort fliehen!«, drängte der Sikh-Meister.
»Das Löwengesicht muss Ihnen doch noch irgendetwas gesagt haben. Wenn nicht den eigenen Namen, dann vielleicht den seiner Unterkunft.«
»Ich weiß nichts«, brach es aus Singh heraus. »Und nun gehen Sie endlich. Es darf in diesem Haus kein Blut vergossen werden. Und schon gar nicht das eines Engländers.«
Inzwischen hatten sie das rückwärtige Tor erreicht, das seltsamerweise ein gutes Stück größer war als der Haupteingang.
David blickte verdrossen auf das grüne Wasser im Becken. Dann holte er tief Luft und wandte sich zu Balu um. »Hier, nimm meine Hand. Du musst mir jetzt vertrauen.«
»Ja, Sahib.« Der Alte zitterte wie Espenlaub.
»Sieh auf keinen Fall zurück.«
»Nein, Sahib.«
»Und lauf, so schnell du kannst.«
Balus braune Augen schienen aus ihren Höhlen zu springen. Er schüttelte energisch den Kopf. »Zu gefährlich, Sahib!«
»Für die Gefahr bin ich zuständig, hörst du? Du musst nur laufen.« Und sich an Meister Zangh Singh wendend sagte David: »Lebt wohl, ehrenwerter Singh. Und habt Dank für Eure Offenheit.«
David schloss kurz die Augen, um sich zu konzentrieren. Hinter ihm ertönte ein lautes Krachen. Schmerzensschreie. Stimmengewirr. Die Eindringlinge hatten den Tempel gestürmt.
Gerade wollte David den rechten Fuß über den schmalen Vorsprung hinaus auf das Wasser setzen, da meldete sich die aufgeregte Stimme von Meister Zangh Singh. »Warten Sie! Mir ist gerade noch etwas eingefallen. Um sein Anliegen zu untermauern, hat das Löwengesicht gesagt, wenn der Sutlej ein heiliger Fluss wie Ganga Ma wäre, gäbe es auf ihm keine Kushtha-Inseln.«
»Ja und?«
»Das erkläre ich dir später, Sahib«, schaltete sich Balu ein. Aus dem Tempel drang Geschrei. Die Eindringlinge tobten, weil sie offenbar nicht gefunden hatten, was sie suchten.
»Also gut«, sagte David und bedankte sich noch einmal bei Meister Zangh Singh. Dann
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