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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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bald dreißig Jahren in dieser Stadt angetan haben und wie viele von uns sie deshalb hassen.«
    »Im April 1919 weilte ich in England. Ich war gerade von den Schlachtfeldern Frankreichs zurückgekehrt. Aber all das Leid des Großen Krieges konnte die Scham nicht überdecken, die mich anlässlich der Nachricht des Amritsar-Massakers befiel.«
    Meister Zangh Singhs dunkles Auge wanderte prüfend über Davids Gesicht. Doch der Wahrheitsfinder spürte, dass er genau die richtige Antwort gegeben hatte.
    Als der Sikh-Meister endlich wieder zu sprechen begann, bestätigte er diesen Eindruck. »Und gerade eben haben Sie den zweiten Teil der Prüfung bestanden, Mr Pratt. Ich kann es fühlen, wenn mich jemand belügt, und Sie sprechen die Wahrheit. Ihr mutiger Begleiter hat mir ausrichten lassen, Sie seien ein Freund des Mahatma gewesen.«
    David lächelte bescheiden. »Ich weiß nicht, ob ich die Ehre verdiene, so genannt zu werden. Aber die Große Seele hat mit mir viele Gedanken geteilt, das ist gewiss wahr.«
    Meister Zangh Singh nickte bedeutungsschwer. »Das ist mehr, als den meisten vergönnt gewesen ist. Ich war erschüttert, als ich von dem Attentat erfuhr. Wenn ich für die Moslems auch nicht viel übrig habe, musste ich Bapu und seinen Bemühungen um ein friedliches Miteinander aller Volksstämme und Religionen doch immer Anerkennung zollen, Indien hat mit ihm einen weisen Führer verloren. Ohne ihn könnte es bald genauso zerrissen werden, wie es unserer Heimat, dem Fünfstromland, widerfahren ist.«
    »In bin durch den Punjab gereist, um auch das zu verhindern, ehrenwerter Singh. Seit Jahren bin ich einer Verschwörerbande auf der Spur, die am liebsten alle Menschen zu Mord und Totschlag anstiften würde. Ich weiß, dass es hier, irgendwo auf dem Subkontinent, einen Mann geben muss, der dieses Ziel mit allen Mitteln verfolgt, Gandhi hat ihm im Wege gestanden. Also ließ er ihn ermorden.«
    Erneut nahm sich der betagte Meister einige Zeit zum Nachdenken. Schließlich senkte er den Blick auf das vor ihm liegende Buch und sagte leise: »Wissen Sie, was das hier ist, Mr Pratt?«
    »Ich nehme an, eine Abschrift Ihres heiligen Buches.«
    Meister Zangh Singh lächelte mild. »Nein, weit mehr als das, Stellen Sie sich vor, Sie könnten die echten Steintafeln mit Moses’ Zehn Geboten studieren, dann werden Sie in etwa ermessen, was es einem Sikh bedeutet, die Seiten des Adi Granth umzublättern. Er ist unsere Heilige Schrift.«
    »Ich fühle mich geehrt«, antwortete David wahrheitsgetreu.
    »Für jeden Sikh sind die Worte unseres obersten Gurus Gesetz.« Meister Zangh Singh klappte das ungefähr einen halben Meter große Buch behutsam zu, um es dann sogleich wieder auf den ersten Seiten zu öffnen. Er fand die gesuchte Stelle, ohne das Blatt mit den Fingern zu berühren, und zitierte: »›Eg Ong Kar.‹ So lautete Guru Nanaks einfache Botschaft an uns, seine demütigen Schüler. In Ihrer Sprache ausgedrückt bedeutet das so viel wie: ›Wir sind alle eins, hervorgebracht von dem einen Schöpfer aller gemachten Dinge.‹ Da es also nur einen Gott gibt und er unser Vater ist, müssen alle Menschen Brüder sein.«
    »Auch der Mahatma stritt gewaltlos für diese brüderliche Einheit aller Menschen.«
    Meister Zangh Singh nickte bedächtig. Der sanfte Wind wehte aufgeregte Stimmen durch die offenen Fenster herein. Ein Zug von Unwillen schlich sich auf Singhs Miene. »Was wollen Sie nun genau von mir, Mr Pratt?«
    Nervös blickte David zum Fenster, der Quelle des Lärms, der so gar nicht zur andächtigen Aura dieses Ortes passen wollte. »Haben Sie jemals von einem sehr mächtigen Mann gehört, der vor keiner – angeblich patriotischen – Gewalttat zurückschreckt, sich selbst aber stets im Hintergrund hält?«
    Meister Zangh Singh gab eine kühle Antwort. »Seit ich im letzten März mit meinem Krummsäbel die grüne Fahne der Moslem-Liga in Stücke zerhackt habe, behaupten böse Zungen, ich selbst sei ein solcher Schurke.«
    »Bitte seien Sie unbesorgt«, erklärte David rasch und mit aller ihm zu Gebote stehenden Überzeugungskraft. Sein Blick lag auf den unberingten Fingern des Sikh-Führers. »An Sie habe ich dabei nicht gedacht. Der Mann, den ich suche, würde keinen Moment zögern, diesen Tempel in Schutt und Asche zu legen. Und er hat die Macht dazu.«
    »Dann kann ich es nicht sein«, erwiderte Meister Zangh Singh voll religiöser Inbrunst und verfiel in tiefe Nachdenklichkeit. David wollte sich schon zu Wort

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