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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Ihnen der Name Raja Mehta etwas, Doktor?«
    Jetzt schüttete sich der Arzt die Limonade über die Hose. »Entschuldigung, Sie haben mich völlig aus dem Konzept gebracht. Das ist alles so schrecklich – die Ermordung Gandhis, meine ich. Und jetzt kommen Sie und fragen nach Mehta.«
    David richtete sich kerzengerade in seinem knirschenden Sessel auf »Heißt das, Sie kennen den Mann?«
    »Und ob! Wir haben ihn erst heute früh wieder auf die Insel gebracht. Irgendwie war es ihm gelungen, an den Wachen vorbeizukommen, welche die Infizierten vom Festland fern halten sollen. Dabei handelt es sich um eine Art Selbstschutzmaßnahme der Bewohner in der Umgebung, die ich, ehrlich gesagt, zutiefst missbillige. Schließlich könnte schon morgen jeder von uns an Lepra erkranken.« Jetzt nahm Dr. Browne doch einen Schluck aus seinem Glas. »Haben Sie es vorhin ernst gemeint, als Sie sagten, Sie wollten zur Insel hinüber?«
    »Sehr ernst.«
    »Sie könnten sich Kushtha einfangen, das heißt, Sie würden bei lebendigem Leib zerfressen.«
    »Übertreiben Sie jetzt nicht etwas, Doktor?«
    »Ich will Sie nur vor einer großen Dummheit bewahren.«
    »Dann sind Sie allerdings der größere Dummkopf von uns beiden, kümmern Sie sich doch ohne Frage täglich um Ihre Patienten.«
    »Eins zu null für Sie, Mr Kirpan. Offen gestanden ist das Ansteckungsrisiko bei Lepra auch weniger hoch, als allgemein angenommen wird.«
    »Entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische«, unterbrach Balu die Unterhaltung der beiden. »Es liegt mir sehr viel daran, dass mein Sahib nicht vom Aussatz zerfressen wird. Kann er irgendetwas tun, um sich zu schützen?«
    Der Arzt blickte erst auf den alten Inder, dann wieder zu David. Er seufzte wie jemand, der schon mehr als genug Übel gesehen hatte, und erwiderte: »Es gibt keine Schutzimpfung und wir wissen auch nicht genau, wie man sich ansteckt. Ich kann Ihnen nur eines raten, Mr Kirpan: Kommen Sie den Kranken nicht zu nah.«
     
     
    Niemand war bereit gewesen, den verrückten Engländer überzusetzen. Warum sollte jemand, der weder Arzt noch ein Mitarbeiter der Leprahilfsorganisation war, freiwillig zu den Aussätzigen gehen? Es konnte sich bei dem Mann nur um einen Wahnsinnigen handeln.
    Balu verabschiedete sich von seinem Sahib, als wäre ein Wiedersehen frühestens im nächsten Leben möglich. David ließ sich nicht beirren. Er bestieg sein schwankendes Transportmittel, ein schlankes hölzernes Flussboot mit hoch gezogenem Bug und Heck. Dr. Browne stieß das Gefährt in die Strömung und David brachte es mit kräftigen Ruderschlägen auf Kurs. Noch eine Weile winkten ihm der Arzt und der dreibeinige Inder vom Ufer her nach.
    Der Sutlej erreichte an dieser Stelle seines Laufes eine Breite von etwa einer Viertelmeile. Die sichelförmige Insel lag ziemlich genau in der Mitte des Stromes. Als David das Ufer der Leprakolonie erreicht hatte und sein Boot auf den Strand zog, war die Sonne noch hinter dem Horizont versteckt. Er trug eine dunkelblaue Wolljacke. Die kühle dunstige Morgenluft ließ alles unwirklich aussehen. Im Zwielicht des anbrechenden Tages schienen die nahen Hütten auf einem wabernden See zu schwimmen.
    Plötzlich entdeckte David herannahende Schemen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Die Gestalten kamen direkt auf ihn zu. Aus der Entfernung wirkten sie gesichtslos wie Moorgespenster. Einige hinkten. Andere hielten ihre Arme seltsam abgewinkelt. David holte noch einmal tief Luft und ging auf die Aussätzigen zu. Als er sich ihnen bis auf wenige Schritte genähert hatte, stoben sie unvermittelt auseinander. »Bitte wartet!«, rief er. »Kann mich vielleicht irgendjemand verstehen?«
    Dunkle Augen musterten ihn wie ein überirdisches Geschöpf. Keiner der Menschen wagte sich näher als sechs oder sieben Schritte an ihn heran. Manche hatten entsetzlich entstellte Nasen, andere dick geschwollene Gliedmaßen. Gelähmte Hände und Finger, furchtbar verkrümmt, reckten sich ihm wie flehend entgegen. Wieder andere waren mit Geschwüren übersät.
    David empfand weder Ekel noch Abscheu für diese bedauernswerten Menschen, zu denen auch einige Löwengesichtige zählten. »Ich soll Sie alle von Dr. Browne grüßen. Er wird sich zur gewohnten Zeit wieder um Sie kümmern. Haben Sie das verstanden?«
    »Uns Aussätzigen hat man beigebracht, Abstand zu den Gesunden zu halten. Manchmal durch Steinwürfe und Prügel. Aber viele hier sprechen Englisch«, meldete sich endlich ein älterer Mann. Er trug

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