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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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einen schwarzen Turban und hatte eine dicke breite Nase, geschwollen bis weit in die Stirn hinauf.
    »Ich muss unbedingt mit einem Bewohner der Insel reden«, sagte David laut und eindringlich. »Er hat ein Löwengesicht. Sein Name lautet Raja Mehta.«
    Schweigen. Wieder starrten ihn die dunklen Augen an, einige verständnislos, manche in stiller Klage, andere feindselig.
    »Unser Vögelchen, das hinausflog, ein Wunder zu suchen«, sagte mit einem Mal eine Stimme. Der Sprecher war hinter anderen Aussätzigen verborgen. »Sucht doch mal ganz am Ende der Insel nach ihm, in dem allein stehenden Haus.«
    David reckte den Hals, konnte den Mann aber nicht entdecken. »Danke«, sagte er und setzte sich Richtung Siedlung in Bewegung.
    Die Kushtha-Insel war schmal. Unter Palmen und Tamarisken drängten sich Schilf-, Lehm- und Wellblechhütten. Vor manchen lagen Menschen auf Strohmatten, von ihrer Krankheit gelähmt. Sie warteten nur noch auf den Tod. Andere, die ihm begegneten, machten einen beinahe gesunden Eindruck, aber David sah die Verzweiflung in ihren Augen. Zum nördlichen Ende der Insel hin gab es immer weniger Hütten und schließlich entdeckte er im schwachen Morgenlicht ein einzelnes rechteckiges Gebilde aus Schilf.
    Die Hütte besaß weder Fenster noch ein vernünftiges Dach. Eine Strohmatte als Vorhang markierte den niedrigen Eingang. Die windschiefen Wände hatten sicher noch keinen Sommermonsun erlebt – sie wären unweigerlich fortgeweht worden.
    »Ist jemand zu Hause?«, rief David. Seine Nerven waren gespannt wie die Saiten einer Sitar.
    Aus dem Schilfhaufen drang kein Laut.
    »Raja Mehta, ich habe eine weite Reise auf mich genommen, um Sie zu sprechen.«
    Der Wind wehte einen Schilfhalm vom Dach direkt an Davids Jacke. Nachdenklich nahm er das trockene gelbe Röhrchen und musterte die Wohnschachtel, die aufgrund ihrer provisorischen Bauweise überall Schlitze und Luftlöcher aufwies. Von innen musste man über eine gute Rundumsicht verfügen, aber von außen war nicht viel zu erkennen. Vorsichtig näherte er sich dem Eingang.
    »Raja, ich weiß, dass Sie da drinstecken. Sie haben von mir nichts zu befürchten, aber ich muss dringend mit Ihnen reden.«
    Wieder blieb alles stumm.
    David hob behutsam eine Ecke des Türvorhangs an und spähte in das Innere des Verschlags. Auf einer großen löchrigen Strohmatte lagen ein schmutziges zusammengeknäultes Laken, eine leere Messingschüssel und ein Kukri, jenes breite schwere Rundmesser, das die gefürchteten nepalesischen Gurkhakämpfer im Dschungel oder Kampfgetümmel benutzten. Die Entdeckung verwirrte David. Mit eingezogenem Kopf betrat er die Hütte, um sich das Gurkhamesser näher zu besehen.
    Gandhi gegenüber war Raja Mehta als Moslem aufgetreten, aber in Amritsar hatte er einen Sikh-Priester besuchen wollen. David stand gebückt über der aus Stahl geschmiedeten Waffe und zerbrach sich den Kopf. Die Gurkhas waren gewöhnlich Hindus. Irgendetwas stimmte da nicht.
    Während noch dieser Gedanke in seinem Bewusstsein hing, brach urplötzlich die Decke über ihm zusammen und ein wildes Kriegsgeschrei erhob sich. David war abgelenkt gewesen und hatte den Angriff erst im letzten Moment vorausgesehen. Er wirbelte herum und sah ein Löwengesicht auf sich zufliegen.
    Der Angreifer riss ihn zu Boden. David kämpfte gegen einen zwar kleineren, aber eindeutig kräftigeren Gegner, der noch dazu über mehr als nur zwei Arme zu verfügen schien. Der Aussätzige schrie und spuckte wie Rudra, der »Heulende«, er fauchte unverständliche Verwünschungen wie Bharaiva, der »Schreckliche« – alle Verkörperungen des vielarmigen Zerstörergottes Shiva schienen auf einmal über ihn hergefallen zu sein. Was zuvor nur eine Ahnung gewesen war, sah David plötzlich wie auf einer gestochen scharfen Fotografie vor sich. Der braunhäutige Shiva-Imitator wollte ihn mit dem Gurkhamesser barbieren.
    Als der Arm des Angreifers sich nach der Waffe ausstreckte, drehte sich David plötzlich wie ein Schilfrohr im Wind nach rechts und vervielfachte dadurch den Schwung des Gegners. Der wilde Kämpfer schoss mit einem überraschten Aufschrei über das Ziel hinaus, und bevor er sich noch aufrappeln konnte, war David samt Klinge schon über ihm.
    Mit dem geschmiedeten Stahl am Hals befiel den Wüterich eine beruhigende Starre. David atmete schwer. »So viel zu der Empfehlung von Dr. Browne, den Kranken nicht zu nahe zu kommen.«
    »Der Aussatz wird dich zerfressen wie mich«, geiferte der

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