Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Attentats gemacht, berichtete Mehta niedergeschlagen. Er habe drei Pläne erarbeitet und enge Vertraute eingeweiht. Einer davon sei Nathuram Godse gewesen. Plan eins – das Bombenattentat – sei fehlgeschlagen, weil zufällig ein Engländer den Mahatma gerettet habe. Godse hatte dann später mehr Erfolg.
Nach dem Anschlag sei er zusammengebrochen, gestand Mehta. Er habe sich auf die Insel der Aussätzigen zurückgezogen, weniger seiner Krankheit wegen, sondern um sich vor der Polizei zu verstecken. Aber als dann die Nachricht von Gandhis Tod die Runde machte, schlug ihm das Gewissen. In seiner Verzweiflung wollte er bei dem Granthi Beistand suchen, aber er traf nur Meister Zangh Singh, der ihm ein Bad im Nektarbecken zubilligte. Die Krankheit besiegte er dadurch nicht. Vielleicht war sie eine Strafe Gottes, sinnierte Metha. Am Boden zerstört sei er daraufhin nach Lupur zurückgekehrt, um auf der Insel seinen Tod zu erwarten.
David konnte aus den Worten des Gurkha echte Reue heraushören. Dennoch machte er ihm klar, dass allein die Einsicht in die Verwerflichkeit der eigenen Tat nicht genügte.
»Reue ohne darauf folgendes Handeln ist wie ein nicht eingelöstes Versprechen. Du wirst dein Leben lang an deiner Schuld tragen und keine Nektarquelle der Welt kann dich von ihr reinwaschen. Aber wenn du umkehrst und deine reumütige Einstellung beweist, wirst du wieder im Spiegel dein Bild betrachten können.«
»Selbst wenn es nur ein Löwe ist, den ich dort sehe?«
»Gerade weil es ein Löwe ist, der dich aus ihm anschaut.«
»Wenn ich mich den Behörden stelle, werde ich hingerichtet.«
»Das ist nicht gesagt. Du bist nicht Gandhis Mörder. Jeder muss für seine Taten die Verantwortung übernehmen. Davon spricht selbst die Reue nicht frei.«
Raja Mehta nickte und ließ den Kopf hängen. »Das verstehe ich. Aber was kann ich tun, um mich von meiner Sünde reinzuwaschen?«
»Sag mir, wer den Befehl zur Ermordung des Mahatma erteilt hat. Wer ist dieser Marwari?«
Mehtas Kopf fuhr hoch. Seine braunen Augen flackerten.
»Ich kann mir denken, was dir dieser Mann versprochen beziehungsweise angedroht hat: Wohlstand und allerlei irdische Freuden im Falle deines Gehorsams, bei Verrat allerdings den Tod und die Wiederkehr als Wurm in vielen zukünftigen Leben.«
»Das waren fast genau seine Worte«, staunte Mehta.
»Was die irdischen Freuden betrifft, hat er ja nun nicht Wort gehalten. Ich dagegen verspreche dir, dass du spätestens im Tod endgültige Erlösung finden wirst. Wem möchtest du nun vertrauen, dem Lügner oder dem, der bis auf den Grund deiner Seele blicken kann?«
David hatte genau die richtigen Worte gefunden. Er bemerkte, wie sich der Rücken des Gurkha plötzlich straffte und ein entschlossener Ausdruck in das Löwengesicht zurückkehrte.
Und dann sagte Raja Mehta: »Der Marwari, in dessen Diensten ich stand, hat einen Palast in Amritsar und einen zweiten auf der Halbinsel Manora in Karachi. Seine ›Geschäfte‹ führen ihn jeweils für mehrere Wochen in die eine oder andere Stadt. Rechtzeitig vor dem Attentat hat er sich nach Pakistan abgesetzt.«
»Er müsste also noch dort sein?«
Mehta nickte.
Mit ernster Miene beugte sich David zu dem geständigen Gurkha vor und sagte ebenso leise wie eindringlich: »Nur eines noch muss ich jetzt von dir wissen: Wie lautet der Name dieses ›rührigen‹ Mannes?«
Raja Mehta hielt dem Blick des weißhaarigen Engländers lange stand. Seine Kiefer mahlten. Die dunklen Augen funkelten erregt. Schließlich sprach er die letzten zwei Worte, die für ihn Erlösung und für David Abschied bedeuteten.
»Ben Nedal.«
Der Sturmpalast
David überreichte Dr. Philip Browne das Ergebnis seiner zweistündigen Recherche in einem verschlossenen Umschlag. Er, der Lepraarzt, möge die Geschichte lesen und damit tun, was immer er für richtig halte.
Gegen zehn Uhr morgens saßen David und Balu wieder in ihrem japanischen Militärschrotthaufen und klapperten Richtung pakistanische Grenze. Balu brütete lange Zeit neben seinem Freund, bevor er endlich nach dem Inhalt des Umschlags fragte.
»Ich habe Raja Mehtas Geschichte aufgeschrieben, so objektiv, wie es mir möglich war. Dr. Browne kann sie den Behörden übergeben, wenn er will. Oder er lässt Mehta in Ruhe sterben.«
»Machst du es dir nicht etwas zu einfach, Sahib?« Balus Stimme zitterte leicht.
Ist er jetzt wütend auf mich? »Du meinst, Gandhis Tod sei mir gleichgültig, nicht wahr? Aber das
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