Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
das Handwerk zu legen und – vorausgesetzt, er gehörte überhaupt zu Belials Bruderschaft – den Kreis der Dämmerung weiter zu schwächen.
Der Hausherr hatte den Raum verlassen. Durch die offene Balkontür wehten erste Regentropfen herein. Ein Blitz zuckte über den schwarzen Himmel, gefolgt von einem gewaltigen Donnerschlag. David stand von seinem Stuhl auf und ging langsam auf das Nebenzimmer zu. Durch den Spalt der nur angelehnten Tür sah er einen Teil des geöffneten Wandtresors. Im Stahlschrank stapelten sich Papiere. Nirgends glitzerte eine Glaskugel. Es raschelte, aber niemand war zu sehen. Sollte er sich am Ende doch getäuscht haben? Handelte es sich bei dem Herrn des Strandpalastes womöglich gar nicht um Ben Nedal? Hatte Raja Mehta – vielleicht sogar ohne böse Absicht – die Unwahrheit gesagt? David schloss die Augen. Es war höchste Zeit, das herauszufinden.
Als er wieder durch den Spalt blickte, war der Tresor geschlossen. Vom Hausherrn fehlte weiter jede Spur. »Wie haben Sie eigentlich die Nachricht von Gandhis Tod aufgenommen?«, rief David in den anderen Raum hinein, als wollte er lediglich ein bisschen plaudern.
»Sie hat mich tief berührt«, drang die Antwort irgendwo hinter der Tür hervor.
»Wie wohl uns alle. Es geht das Gerücht, eine Verschwörergruppe sei für den Anschlag verantwortlich.«
»Meines Wissens nach war es die Tat eines Einzelnen, eines Hindufanatikers – Gobse oder Godse, irgendwas in der Art.«
»Und Raja Mehta? Was ist mit ihm?«
Diesmal ließ die Antwort aus dem Nebenraum auf sich warten. Schließlich: »Ich kenne niemanden dieses Namens.«
»Dann ist Ihnen wohl auch Ben Nedal kein Begriff?«
Wieder herrschte Stille nebenan. David machte noch einen weiteren Schritt auf die Tür zu und wollte sie gerade mit der Hand aufdrücken, als ihn seine Sekundenprophetie warnte. Er reagierte sofort.
Kaum hatte ihn ein kraftvoller Satz aus der unmittelbaren Gefahrenzone gebracht, wurde auch schon die Tür mit einem kräftigen Ruck aufgerissen und der Hausherr stürzte auf ihn zu. Obwohl der Überfall nicht unerwartet kam, überraschte David doch die Art des Angriffs. Im Kreis der Dämmerung schienen sich Liebhaber alter Waffen gesucht und gefunden zu haben. Ben Nedal – es konnte nur der gesuchte Logenbruder Belials sein – schwang nämlich einen breiten Rundsäbel über dem Kopf.
David wich der ersten Attacke geschickt aus. Zwei, drei Hiebe rauschten an ihm vorbei.
»Dann habe ich mich also doch nicht in Ihnen geirrt«, sagte Ben Nedal grinsend, während er sein, wie er glaubte, sicheres Opfer umschlich. Er machte sich nicht einmal die Mühe, den Leibwächter zu rufen. »Nach den Berichten über einen weißhaarigen Engländer, der auf wundersame Weise das Bombenattentat gegen den Mahatma verhindert habe, war mir klar, dass Sie früher oder später hier aufkreuzen würden, Camden.«
Erneut blitzte und donnerte es. Der Wind peitschte dicke Regentropfen herein. Spätestens jetzt war aus dem Strand- ein Sturmpalast geworden.
»Darauf sind Sie aber denkbar schlecht vorbereitet«, erwiderte David furchtlos. Seine Augen suchten nach irgendetwas, das ihm zur Verteidigung dienen konnte, aber er fand nichts.
»Eigentlich muss ich Ihnen danken, Camden. Der ehrenwerte Großmeister wird hocherfreut sein, wenn ich ihm vom Ende der Jagd berichte.«
Ein neuerlicher Ausfall bescherte David eine Serie von Hieben. Doch nur ein Stuhl ging zu Bruch und der Schreibtisch erlitt einige ärgerliche Schrammen. Das Grollen des Gewitters übertönte den Kampflärm und der Leibwächter blieb draußen vor der Tür. David fischte sich ein Stuhlbein aus dem Trümmerhaufen am Boden. Nun hatte er wenigstens eine Waffe.
Ben Nedal reagierte verstimmt auf diese Vorteilsnahme und attackierte seinen Gast erneut. Dabei handhabte er seinen Säbel so geschickt, dass David zu begreifen begann, wo dieser Mann sein Handwerk gelernt haben musste. Wenn er auch unter Hindus, Moslems und Sikhs Ränke schmiedete, konnten es doch nur die gefürchteten Gurkhakämpfer sein, denen er seine Fertigkeit verdankte.
Nachdem David nur um Haaresbreite einem gewaltigen Hieb entkommen war, sagte er: »Die Luft zu zerteilen gelingt Ihnen ja schon recht gut, aber lernt man in Nepal auch, wie man einen Gegner treffen kann?«
»Das will ich dir gerne zeigen«, erwiderte Ben Nedal zornesrot.
Offenbar hatte David einen empfindlichen Nerv getroffen. Wie ein Berserker hackte der Herr des Sturmpalastes nun auf den
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