Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Logenbruder in die Tiefe stürzen. Aber Ben Nedals wie im Gebet vereinte Hände folgten ihm anfangs nur widerwillig und die zahlreichen Goldringe überhaupt nicht.
David hing weit über der Brüstung und konnte gerade noch sehen, wie der Selbstmörder mit nach oben gerissenen Armen in die Brandung tauchte. Die Gischt schien wie eine wütende Bestie nach der Beute zu schnappen und sie wie wild durchzuschütteln. Ein gewaltiger Brecher donnerte gegen die Palastmauern. Ben Nedals Körper war verschwunden.
Nicht jedoch seine Ringe. Sie schienen immer noch in der Luft zu hängen. Tatsächlich aber sanken sie jenseits der Brüstungspfeiler ganz langsam in die Tiefe, nicht weit von David entfernt und für ihn dennoch unerreichbar. Dann erhellte ein gleißender Blitz den nachtschwarzen Himmel und David entdeckte den Siegelring.
»Schnell, Balu. Im Arbeitszimmer hängen mehrere große Gemälde. Bring mir eines!«
»Wie kannst du jetzt an Bilder denken, Sahib? Jeden Moment wird die Leibgarde des Schurken hier aufkreuzen.«
»Bitte, Balu! Stell jetzt keine Fragen. Hol einfach ein Bild.«
Balu nahm sich noch die Zeit, seinen Wurfkrückstock unter dem reglosen Körper des Leibwächters hervorzuziehen, und hinkte dann zu der Wand mit den besagten Bildern. Kurze Zeit später kehrte er mit einem verständnislosen Ausdruck im Gesicht zurück. »Hier, Sahib. Ich hoffe, das Motiv sagt dir zu.«
David riss ihm das Gemälde aus der Hand. Schnell kniete er sich auf den Boden, schob das Bild zwischen den Steinpfeilern der Brüstung hindurch und hielt es wie eine Schaufel unter die goldenen Sternchen. Dann ließ er die Ringe auf das Ölgemälde purzeln.
Vorsichtig zog David das Bild zu sich heran. Doch gerade, als er es ankippen und die Ringe auf sich zugleiten lassen wollte, erfasste ein Windstoß den leichten Rahmen.
Balu schrie auf. Einen Wimpernschlag lang wirbelten Ringe, Arme und das Gemälde wie bei einem Jongleur durch die Luft. Zuletzt verschwanden die Utensilien im Meer und nur David blieb zurück. Schwerfällig drehte er sich zu Balu um und ließ sich gegen die Brüstung sinken.
Der alte Inder spürte, wie aufgewühlt sein Freund war. »Nimm es nicht so schwer, Sahib. Immerhin bist du den Schurken los – wieder einer weniger.«
Langsam stahl sich ein Lächeln auf Davids triefnasses Gesicht. »Wenigstens konnte er das hier nicht mitnehmen.« Er öffnete die Hand und Balu erblickte einen einzelnen Siegelring.
»Und ich dachte…«
David grinste. »Manches im Leben geht eben doch nicht so schnell, wie man denkt.«
Schon stand er wieder auf den Füßen und hielt den Säbel in der Hand. »Jetzt sollten wir uns aber wirklich beeilen.«
Sie kehrten ins Arbeitszimmer zurück und David blieb vor dem Schreibtisch stehen. Darauf lag immer noch die Karneolperle in ihrem blausamtenen Bett. Einen Moment lang betrachtete er sie nachdenklich. Das Schmuckstück hatte seinen Zweck erfüllt. Oder vielleicht doch nicht? Die Welt sei voller Prinzessinnen, hatte Yar Muhammad Ali gesagt, man müsse nur genau hinsehen, um sie zu erkennen. Flugs schloss David die Schatulle und steckte sie in seine Brusttasche zurück.
»Sahib!«, drängte Balu. »Nun komm endlich!«
»Sofort. Ich muss nur noch einen Blick in Ben Nedals Safe werfen.«
»Aber dafür haben wir keine Zeit…«
David ignorierte die Proteste seines Freundes und eilte in das Nebenzimmer.
Balu folgte widerwillig. »Der Tresor ist zu, Sahib. Den bekommen wir nie auf.«
»Das wird sich zeigen.«
»Willst du etwa mit dem Säbel…?«
»Tritt ein Stück zurück, Balu.«
David schob den Freund zur Seite und fixierte den Stahlschrank in der Wand. Einige Herzschläge lang geschah nichts. Nur Balu schimpfte leise vor sich hin. Aber dann erschütterte der nächste Donnerschlag die Insel und exakt zur selben Zeit flog die Tresortür aufs Meer hinaus.
Der kleine Inder starrte sprachlos auf die beiden Löcher in den Turmwänden, die den Weg des Stahlgeschosses markierten. Als ein Blitz aufzuckte, konnte man durch sie hindurch das Meer sehen. »Wie hast du das nur gemacht, Sahib?«
»Das erkläre ich dir später.« David stand vor dem Tresor und durchsuchte dessen Inhalt. Keine Glaskugel, nur Dokumente und bündelweise Geld. »Wäre ja auch zu schön gewesen«, brummte er und lud sich die Arme mit den Unterlagen voll.
»Ich trage für uns die Dollars«, erbot sich Balu schnell.
»Das wirst du schön bleiben lassen.«
»Aber…«
»An dem Geld klebt Blut. Ich will es nicht. Und
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