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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Empire. Dort wimmelte es von Indern und Chinesen. Zwar ähnelten sich die chinesischen Dialekte und das Koreanische nicht im Geringsten, aber da der gelbe Riese das kleine »Land der Morgenstille« jahrhundertelang geknechtet hatte, gab es verwandtschaftliche Beziehungen. Auf diese baute David, als er im Juli 1948 den Ärmelkanal überquerte.
    In London hatte sein Elternhaus gestanden. Hier war er zur Schule gegangen. Das – wenn auch leere – Grab Rebekkas befand sich dort. Es gibt Orte, die eine besondere Macht auf den Menschen ausüben: Man muss sich dort den eigenen Gefühlen stellen, obwohl man nur ungern die Verliese seiner Seele öffnen mag. Für David war London ein solcher Ort.
    Innerhalb weniger Wochen gelang ihm, was er in Paris zuvor nicht in Monaten geschafft hatte. Den entscheidenden Hinweis verdankte er Charles W. H. Callington, seinem alten Studienkollegen aus Oxford.
    Charly ging es prächtig. Er wog nicht weniger als zweihundert Pfund, musste sich als Kahlkopf nicht mit Frisurproblemen plagen und diente seinem Vaterland nach eigenem Bekunden »als Berater in außenwirtschaftlichen Fragen«. Der tatsächliche Gegenstand seiner fachmännischen Fingerzeige war angeblich zu komplexer Natur, um ihn ohne umfangreiche Erläuterungen erschöpfend darzustellen, weshalb sich David auch nicht sonderlich dafür interessierte. So beschränkte man sich zunächst darauf, Wiedersehen zu feiern.
    Die Stadt platzte aus allen Nähten, in wenigen Tagen sollten die XIV Olympischen Sommerspiele eröffnet werden. Aber Charly hatte schon bei den Wirten in Oxford Sonderkonditionen genossen, in den Londoner Pubs war das nicht anders. Er brauchte dann ungefähr fünf pints, bis er endlich akzeptierte, dass es wirklich David »Streber« Camden war, der ihn da in seiner Luxuswohnung im Londoner West End aufgeschreckt hatte. Zu fortgeschrittener Stunde wurde Charly redselig.
    »Weißt du, altes Haus«, lallte er und wischte sich mit einem karierten Taschentuch den Schweiß von der Glatze, »in meinem Beruf lerne ich täglich neue Menschen kennen – dutzende, hunderte, tausende… «
    »Sind auch Koreaner oder koreanisch sprechende Chinesen darunter?«
    Charly leerte ein Glas dunkles Bier und grinste. »Von mir kannst du alles haben.«
    Am nächsten Morgen fragte sich David, ob es klug gewesen war, seinen alten Kommilitonen nicht näher nach dessen Betätigung gefragt zu haben. Immerhin stand Charly im Staatsdienst, versuchte er sich zu beruhigen, nur um sich gleich darauf einiger besonders widerwärtiger Verbrechen dieser oder jener Regierung zu erinnern. Jedenfalls lieferte ihm der Wonneproppen schon nach wenigen Tagen einige viel versprechende Namen. David stürzte sich in die ersten Gespräche.
    Am Ende blieben gerade zwei der mindestens zwanzig Kandidaten übrig: Prof. Choi Soo-wan und Indu Cullingham.
    Soo-wan war Historiker und litt unter erschreckender Kurzsichtigkeit. Nicht etwa im übertragenen Sinne des Wortes, sondern buchstäblich. Er konnte – vom Lesen einmal abgesehen – selbst die einfachsten Handgriffe nur unter Zuhilfenahme von monströsen Brillengläsern bewältigen. Manche Mitmenschen reagierten bisweilen mit unangemessenen Heiterkeitsausbrüchen, wenn seine grotesk geschrumpften Augen sie zum ersten Mal anstierten. Andere wurden misstrauisch, weil sie in der dickglasigen Sehhilfe einen Scherzartikel vermuteten. Einige ergriffen kurzerhand die Flucht. Dabei war Choi Soo-wan ein einfühlsamer Gelehrter mit bemerkenswertem Scharfsinn.
    Der Professor stammte aus Ch’ongjin, das David noch unter dem japanischen Namen Seishin kannte. Ohne Brille hätte man den bescheidenen kleinen Mann leicht übersehen können. Er hatte olivfarbene Haut, sehr kurzes, dafür aber dichtes glattes schwarzes Haar und hinter der Brille lebendig funkelnde Augen. Er liebte es zu lachen, wenngleich manchmal in seinem breiten Gesicht die Spuren jahrelanger Entbehrungen und namenlosen Leids zu erkennen waren – Soo-wan hatte intensive Erfahrungen mit japanischen Foltermethoden in koreanischen Gefängnissen gemacht. Zwischen ihm und den Besatzern aus Nippon hatte es unüberbrückbare Differenzen gegeben, weil sich die jeweilige Sicht der koreanischen Geschichte nicht in Deckung bringen ließ. Also war er – um einem Erschießungskommando zu entgehen – bereits Mitte der Dreißigerjahre nach England geflohen und wirkte seit Kriegsende in einer größeren Bildungsanstalt am Northampton Square.
    Indu Cullingham gehörte seit vier

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