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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Jahren dem Stand der englischen Offizierswitwen an. Die wohlgestaltete Inderin war überaus gebildet. Sie hatte an der Visva-Bharati-Universität in Bengalen und später sogar in Oxford studiert. Ihr Gatte war an der birmanischen Grenze im Kampf gegen die Japaner gefallen und hatte ihr ein ansehnliches Erbe hinterlassen.
    Die erste Begegnung zwischen der indischen Witwe und David fand in The White Swan, einem Café in Richmond, statt. Sie trug einen orangefarbenen Sari und zog zahlreiche Blicke auf sich. Anfangs plauderten sie nur ein wenig miteinander. David erzählte, wie er als Pennäler im feuchten Farn des benachbarten Parks gelegen und unter Vater Bucklemakers Kommando die Weihen britischen Soldatentums empfangen hatte. Indu hörte höflich, aber eher desinteressiert zu. Dann begann er von seiner kürzlichen Indienreise zu berichten und ihre Augen begannen zu leuchten. Als er auf das Mädchen zu sprechen kam, das er in Faridabad buchstäblich von der Straße aufgelesen hatte, fing Indu Feuer. Anscheinend schmerzte sie an ihrer Witwenschaft vor allem der Umstand der Kinderlosigkeit. So kam es, dass David über das Mädchen Abhitha zu Indus Herz vordrang. Bereits beim ersten Gespräch fragte die betuchte Inderin, ob es nicht möglich sei, das Mädchen Abhitha einmal nach London einzuladen. Sie werde selbstverständlich sämtliche Unkosten übernehmen.
    »Abhitha ist in einer völlig anderen Welt aufgewachsen. Sie dort herauszureißen, könnte ihr schaden«, gab David zu bedenken.
    »Wer sagt, dass ich sie für immer aus ihrer gewohnten Umgebung fortlocken will? Aber neue Eindrücke – solange es gute sind – können einem jungen Menschen nicht schaden, sondern ihn nur reicher machen. Ich spreche aus eigener Erfahrung. Bitte erlauben Sie mir, Abhitha einen Brief zu schreiben!«
    David spürte, die Inderin meinte es wirklich ernst. Also willigte er ein. Sie staunte allerdings nicht schlecht, als er sie an Devadas Gandhi, den Sohn des ermordeten Mahatma verwies. Erst Jahre später sollte David begreifen, wie durch die Anteilnahme und Wärme, mit der er von dem herumgestoßenen schmutzigen Straßenkind gesprochen hatte, in Indus Herz der Boden für jenen Wahrheitssamen bereitet worden war, der sie später für ihn zu einer wahren »Schwester« werden ließ.
    Die Eroberung des koreanischen Geschichtsprofessors vollzog sich da schon auf eine etwas andere Weise. Der immerhin bereits Vierundfünfzigjährige war erstaunlich begeisterungsfähig. Nachdem David ihm erst einmal den Jahrhundertplan umrissen hatte, wäre er sogar dafür durchs Feuer gegangen, einen der Logenbrüder Belials aus dem Verkehr zu ziehen. Als Choi Soo-wan das zweiseitige koreanische Dokument ins Englische übertragen und seinem Auftraggeber vorgelegt hatte, begann hinter Davids Stirn ein kleines Hammerwerk zu pochen.
    Der Brief war an einen An Chung-gun gerichtet. David kannte diesen Namen. Er wusste nur nicht mehr woher. Unglücklicherweise konnte auch der Professor ihm nicht weiterhelfen. Als David dann den Gedanken äußerte, man könne ja einfach nach Korea fahren und diesen An ausfindig machen, brach Soo-wan in schallendes Gelächter aus.
    Nach einer Weile beruhigte er sich wieder, blinzelte hinter seinen dicken Brillengläsern wie ein Frosch und sagte: »Das ist keine gute Idee, jüngerer Freund. Du musst nämlich wissen, die Menschen in Choson sind nicht besonders einfallsreich, was ihre Namen betrifft. Höchstens zwanzig verschiedene werden von achtzig Prozent aller Familien verwandt – An ist einer davon. Bei den Rufnamen beweisen meine Landsleute auch nicht viel mehr Phantasie.«
    Enttäuscht wandte sich David wieder dem Text der Übersetzung zu. Es handelte sich um einen Durchschlag, unterzeichnet von Ben Nedal und datiert auf den 12. Dezember 1945. Als unbedarfter Leser konnte man glauben, es ginge um Krisenbewältigung in einem international tätigen Wirtschaftsunternehmen.
     
     
    Lieber An Chung-gun!
    Die Gegenseite nimmt uns unter Feuer. Wie Sie wissen, mussten wir unter dem massiven Druck mit Hiroshima eine weitere unserer Dependancen schließen. Beinahe hätte es eine Katastrophe gegeben. Ein verstärktes Engagement ist daher dringend geboten! In einer Krisensitzung hat der Bund die Konzentrierung unserer Kräfte auf einige wenige Geschäftsfelder mit viel versprechenden Erträgen beschlossen. Nach Absprache mit dem Direktorium bitten wir Sie, Salzmann zu kontaktieren – er konnte krankheitsbedingt an der letzten Besprechung

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