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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gespült, um die Suche nach An Chung-gun anzugehen. Jetzt fehlten nur noch das südkoreanische Visum und die von Professor Choi angekündigte »Fortsetzung«. Letztere kam am 27. Mai auf höchst unerwartete Weise.
    David saß gerade über die New York Times gebeugt an seinem Schreibtisch, in der Hand einen Becher dampfenden Kaffees, der aus Rubens »Feldküche« im vierten Stock stammte, und las einen Bericht über den Abzug der US-Marineeinheiten aus China, als es an der Tür zum Treppenhaus klopfte.
    »Ja?«
    Ruben streckte den Kopf herein. »Da ist Besuch für dich.«
    David runzelte die Stirn. »Ich erwarte niemanden.«
    »Der Besucher behauptet aber das Gegenteil. Er sagt, er heiße For Tse Tzung. Sieht ein bisschen aus wie ein asiatischer Frosch.«
    Nun riss David die Augen auf und sprang hinter seinem Schreibtisch hervor. »Soo-wan? Das gibt’s doch nicht!«
    In diesem Moment kam auch schon der kleine Koreaner in den Saal gestürzt, ließ einen schweren Koffer fallen und lief mit ausgestreckten Armen auf David zu. Die beiden begrüßten sich wie uralte Freunde. Anschließend machte David den Professor mit Ruben bekannt und klärte das Namensmissverständnis auf.
    Danach wandte er sich wieder an den Koreaner. »Die Überraschung ist dir gelungen, Soo-wan.«
    »Wieso Überraschung? Ich habe dir in meinem Telegramm doch eine Fortsetzung angekündigt.«
    »Wann bist du angekommen?«
    »Gerade eben. Das Taxi hat mich vom Flughafen direkt zum Washington Square gefahren. War etwas mühsam, mit dem Gepäck bis hierher zu marschieren, aber ich wollte dein Versteck nicht leichtfertig verraten.«
    »Und was gibt es so Wichtiges, dass du mir nicht schreiben konntest?«
    Der kleine Geschichtsprofessor streckte die Brust heraus. »Mich.«
    »Ich verstehe nicht ganz.«
    »Gerade deshalb bin ich ja gekommen. Wenn du nach Korea willst, dann brauchst du jemanden, der die Sprache des Landes versteht, der Kontakte hat und sich auskennt.«
    »Du selbst hast mir erzählt, dass in deiner Heimat bis Kriegsende Japanisch die einzige zugelassene Amts- und Bildungssprache war. Wie du sehr genau weißt, Soo-wan, dürfte damit die Verständigung für mich kein Problem sein.«
    Der Professor lachte laut auf. »Und dir, jüngerer Freund, scheint nicht klar zu sein, wie sehr die alten Besatzungsherren bei den meisten Einwohnern Chosons verhasst sind. Wenn ein japanisch sprechender Europäer durch das Land streift, wird die Operation An Chung-gun nicht lange ein Geheimnis bleiben. Solltest du Glück haben, jagt man dich nur fort, im schlimmsten Fall wird man dich aufschlitzen und den Fischen zum Fraß vorwerfen.«
    »Du willst mich also wirklich begleiten.«
    Soo-wan nickte und grinste breit. Seine Augen leuchteten wie winzige Juwelen durch die dicken runden Brillengläser.
    »Aber deine Studenten…«
    »Als Professor genieße ich den Vorzug, mich auch einmal aus dem Lehrbetrieb ausklinken zu können, um den eigenen Wissenshorizont zu erweitern. Wegen der ganzen Formalitäten hat es etwas gedauert, bis ich kommen konnte.«
    »Na, du hast ja alles bestens vorbereitet«, brummte David. Ihn störte der Gedanke, wieder einen Freund in Gefahr zu bringen.
    Der Professor nickte eifrig. Aus seinem Gesicht strahlte die Vorfreude. »Alles! Ich habe eine Liste von Personen angelegt, die wir nach An Chung-gun befragen sollten. Vermutlich hält er sich in Südkorea versteckt, um von dort aus seine Kurierreisen in den kommunistischen Teil Asiens zu unternehmen. In Choson gibt es etliche Archive und amtliche Verzeichnisse, die wir durchforsten müssen. Weil nicht abzusehen ist, wie lange wir dafür brauchen werden, habe ich auch schon einen Freund ausfindig gemacht, der uns in Seoul eine Unterkunft besorgen kann.«
    »Gibt es denn überhaupt irgendwelche Hinweise, dass An Chung-gun noch lebt? Ich meine, er ist ja immerhin der Mörder eines angesehenen japanischen Staatsmannes. In Nippon war man Anfang des Jahrhunderts nicht gerade zimperlich im Aussprechen und Vollstrecken von Todesstrafen.«
    »Daran hat sich auch bis 1945 nicht viel geändert. Aber ich denke, An Chung-gun ist raffiniert genug gewesen, um selbst die Japaner auszutricksen. Oder er hat 1909 sehr mächtige Verbündete gehabt.«
    David blickte kurz in Rubens Gesicht, dann sah er wieder den Professor an. Er konnte beiden Männern vertrauen. »Was hast du herausgefunden, Soo-wan?«
    »Meinen Erkundigungen nach muss sich alles folgendermaßen zugetragen haben: Nachdem An Chung-gun den Premier

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