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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Domizil »leer kaufen«, genau diese Formulierung benutzte er. Sein mit hartem Akzent gesprochenes Englisch hatte er von amerikanischen GIs gelernt, was den bisweilen deftigen Wortschatz erklärte.
    Der Geschichtsprofessor verdeutlichte die eher knappen Darlegungen des Vermittlers und berichtete vom zusammengebrochenen Arbeitsmarkt und den armseligen koreanischen Wochenlöhnen. Man nahm, was man kriegen konnte. Auf dem Schwarzmarkt wurde alles angeboten, was sich entbehren ließ, um dagegen Nahrungsmittel oder andere wichtige Güter einzutauschen. Einige besonders geschäftstüchtige Zeitgenossen waren durch Schiebereien sogar zu bescheidenem Wohlstand gelangt, unschwer an der Anzahl der Speckröllchen in der Taillengegend zu erkennen – Kaeddong musste demnach ein sehr vermögender Mann sein. Aber nur wer Bargeld besaß, gehörte zu den wirklich Auserwählten. Die bisherigen Mieter der Einraumwohnung lebten vorübergehend bei lieben Verwandten außerhalb von Seoul und teilten jetzt wahrscheinlich mit ihnen den neu erworbenen Reichtum.
    Professor Choi Soo-wan verfügte über eine Liste von ungefähr einer Million An Chung-guns. Jedenfalls war das Davids erster Eindruck, als er das widerspenstige Bündel Blätter sah, das Kaeddong seinem Freund bei der Begrüßung im Hotel in die Hand drückte. Die Aufstellung war das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit der über das ganze Land verstreuten Freunde Soo-wans. Das informative Sammelsurium bestand aus Zetteln unterschiedlicher Größe, gelegentlich ziemlich zerknittert und randvoll mit Notizen. Darunter befanden sich nebulöse Orts- und Zeitangaben, vage Zeugenaussagen, hin und wieder aufgelockert durch einen aufgeklebten Zeitungsausschnitt.
    Am ersten Abend im neuen Unterschlupf wurden die zusammengetragenen Fahndungsergebnisse einer eingehenden Prüfung unterzogen. Weil David kein Wort Koreanisch verstand, musste Soo-wan die Sichtung übernehmen, Belangloses ausfiltern und Wichtiges übersetzen. Zu Beginn der Auswertung machte der Professor eine seltsame, unverständliche Bemerkung, die nach Davids Meinung wohl mit den Sitten des Gastlandes zu tun haben musste.
    Soo-wan wog den Stapel Papier in der Hand, lächelte selig und sagte: »Dieser Hundedreck!«
    Davids Kinnlade klappte herunter. Er blickte die Notizzettel, dann das wonnige Antlitz des Freundes und schließlich wieder die Blattsammlung an. »Warum strahlst du wie ein Honigkuchenpferd, wenn du eine derart schlechte Meinung von dem Papierhaufen hast?«
    Die Antwort Soo-wans bestand – einmal mehr – in einem gewaltigen Lachen, das vermutlich auch sämtliche Nachbarn beglückte. Der kleine Historiker freute sich immer wie ein Schelm, wenn ihm ein Scherz gelang. »Es war nicht abwertend gemeint, jüngerer Freund. Ich wollte sagen, was für ein Pfundskerl dieser Kaeddong doch ist.«
    »Und deshalb bezeichnest du ihn als Hundedreck!«
    »Das haben schon seine Eltern getan.«
    »Also ich bin ja von den japanischen Bräuchen her einiges gewohnt, aber… «
    »Kaeddong«, stellte Soo-wan klar, »bedeutet ›Hundedreck‹. Manche Eltern fürchten, böse Dämonen könnten ihrem Neugeborenen Übles wollen, deshalb geben sie ihm einen bewusst abstoßenden Namen.«
    »Wie Hundedreck«, sagte David tonlos.
    Soo-wan freute sich über das dämmernde Verständnis des jüngeren Freundes. »Den rühren selbst die Dämonen nicht an.«
    Es bedurfte einiger Augenblicke, bis David sich mental von dieser Lektion erholt hatte. »Mit anderen Worten, dir scheint diese Liste keinen Schrecken einzujagen. Wie wollen wir denn konkret vorgehen, jetzt, wo wir diesen Wust von Hinweisen haben?«
    Der Historiker lächelte unbekümmert. »Ganz einfach, wir überprüfen jeden einzelnen dieser An Chung-guns. Bei einem werden wir ins Schwarze treffen.«
    »Bist du dir da sicher?«
    »Nein.«
    »Das hatte ich befürchtet.«
    »Ohne Koreanischkenntnisse wirst du mir sowieso nicht viel helfen können. Am besten übernehme ich die Ermittlungen anhand der An-Liste und du forschst in den Zeitungsarchiven von Seoul.«
    »Aber ich kann eure Schrift doch nicht lesen!« David hatte sich lange nicht mehr so hilflos gefühlt.
    »Bis 1945 war Koreanisch als Amts- und Unterrichtssprache in Choson verboten.«
    »Richtig! Das hatte ich für einen Augenblick vergessen. Dann müsste es also genug Zeitungen in Japanisch geben, die ich durchforsten kann.«
    »So hatte ich mir das gedacht.«
    David fasste wieder Mut. »Also dann, lass uns die Sache

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