Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Todesstrafe, Soo-wan?«
Der Professor nickte mit versteinerter Miene. »Ja, aber bevor wir uns darüber Gedanken machen, müssen wir den Aufenthaltsort An Chung-guns herausfinden.«
»Gemäß Ben Nedals Brief sollte er mit jemandem Kontakt aufnehmen, der den Decknamen ›Salzmann‹ trägt und im russischen Zweig‹ des Geheimbundes tätig ist. Erst im März hat die UdSSR mit Nordkorea ein zehnjähriges Wirtschafts- und Kulturabkommen geschlossen. Damit ist dein Heimatland zu einer der drei Hintertüren ins Reich des russischen Bären geworden, neben Berlin in Deutschland und – unter etwas anderen politischen Vorzeichen – auch Finnland. Für Chung-gun ist es bestimmt keine große Sache, diese ›Brücke in die rote Welt‹ zu überqueren. Er muss nur einen Verwandtenbesuch im Norden des Landes vortäuschen, um von dort mit jeder beliebigen Person in der Sowjetunion oder in einem ihrer ›Bruderstaaten‹ in Verbindung zu treten.«
»Das sehe ich genauso«, stimmte Soo-wan seinem jüngeren Freund zu, »obwohl die Suche dadurch für uns ungleich schwieriger und gefährlicher wird. Wir sollten deinem Vorschlag folgen und uns zunächst auf den einfacher zu erkundenden südlichen Teil der Halbinsel konzentrieren. Für den Norden wirst du vermutlich sowieso kein Visum bekommen und ohne ein entsprechendes Dokument ist ein Grenzübertritt nicht sehr empfehlenswert – jenseits des achtunddreißigsten Breitengrades könnte man dich leicht für einen Spion halten.«
Davids Gesicht war ernst geworden. »Und was man mit solchen anzustellen pflegt, ist ja hinlänglich bekannt.«
Indu Cullingham hatte ganze Arbeit geleistet. Ihrer Übersetzung der Geschäftspapiere Ben Nedals verdankte David wichtige Einsichten. Hinter der Fassade des ehrenwerten Geschäftsmannes Ben Nedal hatte sich ein gänzlich anderer Mann versteckt, ein Menschenhändler, Kunsträuber und Waffenhändler. Auf dem Nachkriegsglobus züngelten noch genug Feuerchen, die zu versorgen Ben Nedals Passion gewesen sein musste. Da gab es Kontakte zu den Vietminh in Indochina, zu beiden Bürgerkriegsparteien in China, natürlich zu diversen Extremistengruppen in Pakistan und Indien und eben zu Kim Il Sungs Nordkorea. Mehrfach hatte der Pakistaner auch Städte im Vorderen Orient aufgesucht – Diyarbakir und Erzurum in der Türkei, Kirkuk im Irak und Sanandaj sowie Saiz im Iran. David konnte die vielen unterschiedlichen Namen und geschäftlichen Transaktionen nur auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Ben Nedal hatte sein ohnehin schon verwerfliches Engagement im Waffenhandel einem noch abscheulicheren Gesamtziel untergeordnet: Die verschiedenen Unruheherde Asiens sollten so lange unter Feuer gehalten werden, bis daraus ein Flächenbrand entstand. Zum Glück konnte er nun kein Unheil mehr stiften. Mit diesem tröstlichen Gedanken stopfte David die übersetzten Papiere in einen Karton, fand in seinem Bürosaal mühelos ein Stückchen freie Wand und erklärte es zum archivarischen Grundstock seiner zukünftig geplanten Nachrichtenagentur.
Die Untersuchungen von Ben Nedals »Vermächtnis« waren längst abgeschlossen und alle Pläne für Korea siebenfach geschmiedet, als im Spätsommer endlich das Visum erteilt wurde. Zuletzt war wieder einmal Henry Luce helfend eingesprungen, der extra seinen Mann aus Südkorea abberufen hatte, um ihn durch David zu ersetzen (die Behörden ließen von jedem Nachrichtenblatt nur einen Korrespondenten einreisen).
Mit dem Flugzeug machten sich der Kreisjäger und sein gelehrter Assistent am 3. September auf den Weg nach Choson, wie die Koreaner ihre Heimat liebevoll nannten. Über dem »Land der Morgenstille« hingen dunkle Gewitterwolken: Am selben Tag noch legte eine UN-Kommission einen Bericht vor, in dem vor einem drohenden Bürgerkrieg in Korea gewarnt wurde. Wäre David in New York geblieben, wenn er die entsprechenden Zeitungsmeldungen gelesen hätte? Später sollte er sich diese Frage noch oft stellen.
Nach einem letzten Zwischenstopp in Tokyo landete die Propellermaschine der Northwest Airlines am 5. September auf dem Flughafen Kimpo. Ein Taxi brachte die beiden Männer durch die Hanebene in die Innenstadt. In zwei oder drei Tagen, hatte der Professor versprochen, würde sein Freund eine Wohnung für sie gefunden haben. Ein Quartier in den Kasernen der UN-Truppen kam für David nicht infrage, weil die Wachposten jedes Kommen und Gehen mit militärischer Gründlichkeit protokollierten. Verdeckte Operationen waren da kaum
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