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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Armenviertel lebte und nicht längst ein schönes Haus am Gelben Meer bewohnte.
    »Du kannst mich prügeln, aber das passt zu Chung-guns Legende«, rief Kaeddong, dem die Unstimmigkeit auch aufgefallen war. »In diesem Viertel, wo der Sohn nicht einmal eine richtige Adresse braucht, kann der Vater aus und ein gehen, wie es ihm gerade passt. Hier hat jeder genug mit sich selbst zu tun. Und die Behörden kümmern sich auch nicht um die Bruchbuden.«
    »Du scheinst dich hier ja bestens auszukennen.«
    »Ein Geschäftspartner von mir wohnt in dieser Siedlung, nur ein paar Häuser weiter.«
    »Natürlich. Hätte ich mir denken können.«
    »Wir werden ihm einen Besuch abstatten.«
    »Wozu das?«
    »Das wirst du gleich merken.«
    Der Schwarzhändler legte den angekündigten Zwischenstopp bei einer Hütte aus Eisenbahnbohlen, Wellblech und Holzplatten ein. Das Bauwerk sah aus, als würde es jeden Augenblick zusammenbrechen. Kaeddong riss mutig die Tür auf und verschwand in dem Patchworkhaus. David hörte von drinnen laute, durchaus freundliche Töne, dann kam Kaeddong wieder heraus.
    »Alles in Ordnung.«
    David antwortete schicksalsergeben: »Wenn du es sagst.«
    Während der rundliche Schwarzhändler wieder das Kraftrad bestieg, erläuterte er seinen Plan. Augenblicke später hatten sie sich dem ausgespähten Haus bis auf vielleicht einhundert Meter genähert. Kaeddong brachte das Motorrad hinter einer eingestürzten Bretterbude zum Stehen. David wollte bei der Maschine warten, einerseits, damit sie nicht gestohlen wurde, und andererseits, weil er damit rechnen musste, dass Ung-doo ihn erkannte. Ein weißhaariger, hagerer Engländer – an diesem Ort genügte das, um ihn zweifelsfrei zu identifizieren Kaeddong entfernte sich mit schnellen kurzen Schritten in Richtung Haus. Davids bange Blicke folgten ihm aus seinem Versteck heraus. Ung-doos Anwesen – so es ihm denn gehörte – mochte sechs Meter im Quadrat messen. Dicht daneben stand eine wesentlich kleinere und ärmlichere Hütte aus groben Holzlatten, vor der zwei Kinder im Staub spielten. Es waren Mädchen, beide höchstens zehn Jahre alt. Eines trug ein ordentliches Kleidchen, das andere eine Art langes Hemd, das vor Dreck nur so starrte. Zweifellos war das sauber gekleidete Mädchen Chung-guns Enkeltochter und das andere irgendein Nachbarskind.
    Kaeddong rief etwas in das größere der beiden Häuser. Wie abgesprochen, sollte er auf keinen Fall An Chung-guns Namen erwähnen. Das würde nur unnötigen Verdacht erwecken.
    David sah einen schlanken mittelgroßen Koreaner vor die Tür treten. Die Unterhaltung verlief offenbar planmäßig. Kaeddong stellte sich als Beauftragter der US-Armee vor, der eine wichtige Postsendung für einen Nachbarn habe. Er wedelte mit einem braunen Briefumschlag. Dann nannte er den Namen des Empfängers – es handelte sich um den zuvor instruierten »Geschäftskollegen«. Der Angesprochene kannte den Mann. Leider, beteuerte Kaeddong tief zerknirscht, habe er die Botschaft nicht persönlich aushändigen können, und sie einfach unter der Tür hindurchzuschieben sei ihm nicht erlaubt. Er benötige eine schriftliche Empfangsbestätigung. Vorschriften! Sein Gegenüber wisse ja, wie die Amerikaner seien.
    Der Hausbesitzer nickte ohne allzu großes Mitgefühl. Kaeddong könne seine Quittung ja selbst unterschreiben. Dieser Vorschlag sei für ihn unannehmbar, entrüstete sich der gewissenhafte Bote. David konnte sehen, wie er empört auf- und abhüpfte. Jetzt kam die Stelle im Programm, an der Kaeddong den Verfall der alten Sitten und Gebräuche sowie das Verschwinden der Nachbarschaftshilfe zu beklagen hatte. Die Tirade dauerte ungefähr drei Minuten. Endlich – der Mann war ein harter Brocken – ließ sich der Hausbesitzer erweichen. Er nahm den Umschlag entgegen und zeichnete den Empfang in der ihm von Kaeddong untergeschobenen Liste ab. Jetzt musste der falsche Briefbote nur noch fragen, ob er den Namen An Ung-doos richtig gelesen habe, und nachdrücklich daran erinnern, die Sendung auf keinen Fall zu verschlampen. Ung-doo war einem Nervenzusammenbruch nahe. Er schwor bei allen guten Geistern seines Großvaters mütterlicherseits – eines angesehenen Schamanen – den Brief beim Nachbarn abzuliefern und seufzte erleichtert, als der militärische Zusteller endlich davonhüpfte.
    »Er ist es!«, triumphierte Kaeddong, als er wieder beim Motorrad war.
    »Dich möchte ich nicht zum Gegner haben«, sagte David anerkennend – keine größere

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